Russland: Putins Leute sind in Panik

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Russland Putins Leute sind(c) REUTERS (ALEXANDER NATRUSKIN)
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Der Rücktritt von Finanzminister Kudrin schockiert internationale Investoren. Denn Kudrin konnte es sich als ziemlich Einziger leisten, Premierminister Putin zu widersprechen.

Moskau. Wo die Kaderreserve über Jahre autoritären Regierens ausgedünnt worden ist, wirft jeder einzelne Abgang in der Elite Schwierigkeiten für das ganze Gefüge auf. Wenn dann noch das größte Schwergewicht ausfällt, ist zu Recht Feuer am Dach. Ganz so, als ob alles zusammenzubrechen drohe, reagieren der Wirtschaftsblock in der russischen Regierung, aber auch westliche Investoren seit zwei Wochen panisch, weil Russlands Finanzminister Alexej Kudrin zurückgetreten ist. Selbst auf dem großen Investitionsforum „Russland ruft!“, das die Staatsbank VTB vorige Woche in Moskau durchgeführt hat, war die notorische Verspätung von Premier Wladimir Putin weniger Thema als die Frage: „Wo ist Kudrin?“.

Kudrin war von Kremlchef Dmitrij Medwedjew in einer Sitzung Ende September vorgeführt worden wie bisher nur drittklassige Provinzpolitiker. Dabei handelt es sich bei Kudrin um jenen Minister mit Status eines Vizepremiers, der Russland durch die Einrichtung eines Stabilitätsfonds vor dem Totalabsturz in der Finanz- und Wirtschaftskrise gerettet und die hohen Auslandsschulden auf nun beruhigende elf Prozent des BIPs gedrückt hat. Zuletzt hat er immer lauter davor gewarnt, dass Russland wieder über seine Verhältnisse zu leben beginnt, weil Medwedjew auf horrende Militärausgaben drängte.

Konflikt mit Medwedjew

Gestolpert ist der 50-jährige Ökonom aber über die Aussage, dass er im Falle des angekündigten Wechsels Medwedjews an die Regierungsspitze nach den Wahlen 2012 nicht mehr Teil des Kabinetts sein möchte. Wenn er das nicht dementiere, könne er seine Koffer packen, herrschte ihn Medwedjew zornig an. Das hat Kudrin, der selbst als Kandidat für das Amt des Premiers gehandelt wurde, sogleich getan. Und damit die Expertenwelt schockiert. Kudrin nämlich hatte als Symbol für die mühsame Arbeit an einem besseren Investitionsklima gegolten. Und er hatte es sich als ziemlich Einziger leisten können, dem übermächtigen Putin zu widersprechen.

Putins Leute sind sichtlich in Panik, zumal es Kudrin war, der sagte, dass die prognostizierten vier Prozent Wachstum 2011 schwach seien und ein Rückgang auf drei Prozent schon einer Stagnation gleichkäme. Bezeichnend also, dass sie Kudrin vorige Woche baten, sich wenigstens hinter den Kulissen des VTB-Forums mit Investoren zu treffen. Bezeichnend auch, dass Putin sich genötigt sah, auf dem Forum eine Kudrin'sche Sparsamkeitsrhetorik anzuschlagen und zu versichern, dass Kudrin als „notwendige Person“ in der Mannschaft verbleiben wird. Beobachtern zufolge vorerst als Joker in Bereitschaft.

Generell ist das russische Ämterdrama ein strukturelles, meint Sergej Gurijew, Rektor der Russian Economic School, in einer Analyse. Die Tatsache, dass Putin 2012 als Präsident zurückkommt, sei im Verein mit Kudrins Abgang das Signal, dass die überfälligen Veränderungen auf unbestimmte Zeit verschoben sind und das System schneller in die Sackgasse gerät als erwartet. Wenn Vorwarner wie Kudrin fehlten, erfahre man von einer Katastrophe wie dem Ende budgetärer Mittel immer erst, wenn sie schon da sei. Die Revolutionen in der arabischen Welt hätten die Regierung so erschreckt, dass sie sofort die Staatsausgaben erhöhten, um das Volk zu kaufen.

Elite will keine Veränderungen

Im Zusammenhang damit, dass sich die Elite nötigen Veränderungen verweigert, erinnert Gurijew an das Buch des US-Politologen Bruce Bueno de Mesquita „The Logic of Political Survival“. Dort heißt es, dass eine für das Land gute Politik in den Augen der Machthaber schlecht sein könne und umgekehrt. Sollte der Übergang zu hohem Wachstum mit weniger Kontrolle über die Wirtschaft (etwa durch Privatisierung, Deregulierung) einhergehen, könnte die Elite Angst vor Machtverlust bekommen. In dem Fall würde sie es vorziehen, über eine stagnierende Wirtschaft zu verfügen und einen größeren Anteil an einem kleineren Kuchen zu haben, als den Verlust jeglichen Anteils an einem großen Kuchen zu riskieren. Allein, die Sowjet-Erfahrung würde laut Gurijew zweierlei lehren: Ist das Geld am Ende weg, dann auch die Macht. Und auch wenn Reformen aufgeschoben werden, sind sie doch früher oder später durchzuführen – mit dem Nachteil, dass die Ausgaben dafür höher und die Umstände ungünstiger werden.
Siehe auch Interview Seite 6

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2011)

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