Maturantenquote: "Für die Unis wird gut vorselektiert"

Maturantenquote Fuer Unis wird
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Die Chancen der Uni-Autonomie: Thomas Bieger, Rektor der Eliteuniversität St. Gallen, spricht mit der "Presse" über unnötige Experimente in der Hochschulpolitik und den "weltweiten Dozentenmangel".

Die Presse: Die Schweizer Unis gelten in Österreich als stetes Vorbild. Lässt sich das Erfolgsgeheimnis des Schweizer Hochschulsystems auf den Punkt bringen?

Thomas Bieger: Es gibt zwischen der Schweiz und Österreich viele Gemeinsamkeiten – etwa die Matura als Voraussetzung für ein Studium oder das Recht auf einen Studienplatz. Der wesentliche Unterschied liegt wohl im traditionell großen Gewicht der Berufsbildung in der Schweiz – und der daraus resultierenden niedrigen Maturantenquote.

Kaum ein anderes Land würde mit so großem Stolz auf eine niedrige Maturantenquote verweisen.

Das ist aber der entscheidende Punkt: Die Unis dürfen zwar nicht selektieren, es wird aber gut vorselektiert. Und durch die Fachhochschulen haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass all jenen, die sich zuerst für eine Berufsausbildung entscheiden, später trotzdem der Weg in den Hochschulsektor offensteht. So mancher, der mit einer Lehre beginnt, kommt irgendwann an unsere Uni, um hier einen Master zu machen.


Die Schweizer Rektoren verweisen stets auf ihre Autonomie...

Die zweite Stärke des Systems ist sicher die Kontinuität in der Hochschulpolitik, die aber nichts mit einer Verkrustung zu tun hat. Die Schweizer Rektorenkonferenz hat ein großes politisches Gewicht. Es gibt da eine gute Balance zwischen Bund, Kantonen und autonomen Unis. Das schafft ein gutes Klima, drängende Reformen durchzuführen. Im Gegenzug gibt es keine unnötigen Experimente – weil das die anderen Ebenen verhindern.

Die Autonomie führt natürlich auch zu Doppelgleisigkeiten.

Die Stärke der Autonomie liegt darin, dass sie uns eine langfristige Planung ermöglicht. Das ist gerade in der Forschung wichtig. Staatliche Eingriffe sind immer von Kurzfristigkeit geprägt. Diese sorgfältige Planung ist im immer härter werdenden globalen Wettbewerb entscheidend. Wir kämpfen um die besten Studierenden, noch schlimmer ist es bei den Dozierenden. Es gibt mittlerweile einen weltweiten Dozentenmangel, weil die Studierendenzahlen überall in die Höhe schnellen, vor allem in aufstrebenden Ländern wie China oder Indien. Zudem kämpfen wir um die rekrutierenden Unternehmen. Die großen Unternehmen gehen heute dazu über, bevorzugte Unis zu wählen, von denen sie ihre Mitarbeiter anwerben. Hier müssen wir Profilierungsstrategien entwickeln.

Auch die österreichischen Unis sind stolz auf ihre Autonomie. Wenn es um die Finanzierung geht, verlassen sie sich dann aber gern auf den Staat.

Die Universität St.Gallen hat den Vorteil, dass sie seit der Gründung von einer unternehmerischen Kultur geprägt ist. Unsere Abteilungen und die Institute funktionieren wie KMU. Sie werben selbst Mittel ein und können ihre Budgets autonom ausgeben oder Rücklagen bilden. Wir haben den höchsten Drittmittelanteil aller Schweizer Unis – von fast 50 Prozent. Bei den öffentlichen Mitteln finanzieren wir uns durch drei Säulen: Ein Drittel kommt vom Bund, ein Drittel vom Kanton St.Gallen und der Rest von den anderen Kantonen, die zahlen, wenn sie einen Studenten hierherschicken. Dass wir nicht von nur einem Geldgeber abhängen, gibt uns Stabilität und Unabhängigkeit.

Sie geben an, dass die Studienkosten im Jahr – inklusive Lebenserhaltungskosten – rund 20.000 Euro betragen. Klingt nach einem Elitenprogramm.

Gar nicht. Die Studiengebühr, die wir einheben, die ist im internationalen Vergleich zu vergessen. Von Ausländern verlangen wir rund 1100 Euro. Wenn ich mir da andere Unis anschaue, etwa die London School of Economics: Da gibt es Gebühren von 10.000 Euro und mehr pro Semester. Es ist also sehr billig hier. Ich nenne es immer ein Staatsstipendium: Der Schweizer Steuerzahler gibt ein Gut, nämlich den Studienplatz, weit unter dem eigentlichen Marktwert her. Deshalb selektieren wir die ausländischen Studenten. Wir streben aber einen Anteil von 25 Prozent an, um die interkulturelle Atmosphäre zu gewährleisten.

Bei den Schweizer Studienanfängern können Sie nicht selektieren.

Im ersten Jahr werden die Studenten gefordert und verschiedenen Prüfungsformen unterworfen. Wer das übersteht, ist geeignet. chs

Zur Person

Thomas Bieger (geb. 1961) ist seit Februar 2011 Rektor der Universität St. Gallen. Der Touristikexperte steht damit einer der renommiertesten Wirtschaftsuniversitäten Europas vor. Sie gliedert sich in fünf Abteilungen, von Finanzwirtschaft bis Kultur- und Sozialwissenschaft. Rund 7000 Studierende stehen 600 Lehrenden gegenüber. Die Uni hat ein Jahresbudget von knapp 160 Millionen Euro – die Hälfte davon lukriert sie über Drittmittel. [HSG]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2011)

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