Die Geister des Chauvinismus

Dass die russische Führung so lange auf die „nationale Größe“ gesetzt hat, könnte ihr zum Verhängnis werden.

Russland den Russen, Europa den Weißen“ – Parolen wie diese erklangen beim gestrigen „Russischen Marsch“ in Moskau. Die Behörden hatten den nationalistischen Umzug zwar an den Stadtrand verbannt, doch dieser verschämte Bürokratenentscheid kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Chauvinismus und Xenophobie längst in der Mitte der russischen Gesellschaft angekommen sind – auch bei denen, die nicht mitmarschieren.

Ganz abgesehen davon, dass das Leben in Moskau zusammenbrechen würde, würde man – wie von den Nationalisten gefordert – die Migranten aus der Hauptstadt werfen: Dass heutzutage viele Russen zumindest zum Takt des rechtsradikalen Stechschritts mitnicken können, ist zu einem Großteil das Produkt der offiziellen russischen Politik. Namentlich Ex-Präsident und Noch-Premier Wladimir Putin hat in den vergangenen zehn Jahren dem Volk seine „nationale Größe“ eingebläut.


Wer in Russland heute die Massen mobilisieren will – wie es bei den Duma-Wahlen am 4.Dezember, zumindest dem Anschein nach, notwendig ist –, muss auf die nationalistische Karte setzen. Noch-Präsident Dmitrij Medwedjews „Modernisierung“, als politische Vision sowieso diffus, hat ausgedient, die Liberalen sowieso. Die russische Führung betreibt ein brandgefährliches Spiel: Der Zeitpunkt könnte kommen, zu dem sich die Geister, die sie gerufen hat, nicht mehr mit ihrer Polittechnologie kontrollieren lassen.

jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2011)

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