Wien modern: Lebende Bilder zwischen Depression und Schalk

(c) Tableaux Vivants
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„Tableaux Vivants“. Facettenreiche Performance im Tanzquartier. Anne Juren, Choreografin und Tänzerin zeigt einmal mehr, wie tiefsinnig aber auch humorvoll sie an ihre Stücke herangeht.

Am Anfang herrscht Endzeitstimmung. Das auf einem Laptop lodernde Feuer spendet keine Wärme, sondern macht die Trostlosigkeit der in Lumpen gehüllten Figuren auf der Bühne noch deutlicher spürbar. Anne Juren ist darunter: Die Choreografin und Tänzerin aus Grenoble zeigt einmal mehr, wie facettenreich, tiefsinnig, aber auch humorvoll sie an ihre Stücke herangeht.

Die Stimmung wechselt je nach Bild: Über 40 Gemälde und Objekte hat Roland Rauschmeier für das im Rahmen von Wien Modern uraufgeführte Stück „Tableaux Vivants“ beigesteuert. Sie sind nicht starres Bühnenbild, dem Tanz nicht untergeordnet, sondern Teil der lebenden Installationen. Sie wandern, kriechen, hüpfen über die Bühne, sie verschlucken Tänzer, tragen Perücken, schieben sich leise in den Vordergrund oder tauchen plötzlich von der Seite auf, um sofort die Stimmung zu verändern. Auf die an frühgeschichtliche Depression erinnernde Auftaktszene folgt etwa ein geometrisches Bild in Grautönen, aus dem Körperteile in bunter Kleidung hervorquellen, Menschen schieben sich seitlich hinter dem Bild hervor, verschwinden schnell wieder, bevor die Darsteller in Anzug und Cocktailkleid als wirres Knäuel über die Bühne rollen. Für Stimmungsschwankungen sorgt auch die Musik von Johannes Maria Staud: ein eigenwilliges Wechselbad von bedrohlichen Passagen, aggressiver Perkussion und schmeichelndem Orchestersound. Das zeitgenössische Ensemble Phace unter Simeon Pironkoff hat alle diese Facetten im Griff.

Pinocchio im Dauerlauf

Herzlich gelacht werden darf schließlich bei einer Videoprojektion, in der die Tänzer als futuristische Monster einen Baumarkt unsicher machen. Das Material für die Verkleidungen stammt unübersehbar aus den Regalen: Ein Sieb als Kopfbedeckung, ein Plastikrohr als Knieschützer, viel Schaumstoff für das Badewannenwesen, zwei Putzspachteln als wackelige Balancier-Schuhe – da sind Fantasie und Schalk mit Anne Juren durchgegangen. Zum Schluss läuft ein als weißer Clown verkleideter Pinocchio im Dauerlauf über die Bühne, bis er einem leidtut. Schon der Pinocchio auf Rauschmeiers Bild lässt bemitleidenswert die lange Nase hängen – dabei bekommt er doch als ein „Tableau Vivant“ nicht nur einen großen Auftritt, sondern einen echten Körper. Aber das ist auch nicht immer so einfach... – Ein bemerkenswertes Stück Performancekunst. i.w.

Noch am 12.11., 20.30 Uhr, Museumsquartier, Halle G.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2011)

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