Die Freude an Schreikrämpfen

Yasmina Rezas »Der Gott des Gemetzels« als Parabel auf Roman Polanskis Leben.

Man kommt gar nicht umhin, diesen Film als Parabel auf die letzten zwei Jahre in Roman Polanskis Leben zu lesen. Situiert in einer Familienwohnung erzählt „Der Gott des Gemetzels“ die Chronik einer Eskalation, die auf Missverständnissen beruht. Das wohlhabende Ehepaar Cowan (herzhaft überzeichnet: Kate Winslet und Christoph Waltz) findet sich beim bodenständigen Ehepaar Longstreet (perfekt besetzt: John C. Reilly und Jodie Foster) ein. Es geht um eine Schlägerei zwischen ihren Buben. Schwer verletzt wurde keiner, aber man will sich eben aussprechen. Die anfänglichen Höflichkeiten blättern allerdings schnell ab von den Biedermann-Fassaden: Nach dem zweiten Glas Scotch und den ersten Flegeleien sinken die Hemmschwellen, versinkt der Anstand und das „Gemetzel“ („Carnage“ – so der Originaltitel des Films) kann beginnen. „Der Gott des Gemetzels“ ist ein spürbar persönlicher Film für Polanski, auch wenn er sich Mühe gegeben hat, die Geschichte von Yasmina Rezas erfolgreichem Bühnenstück so zu formulieren, dass sich keine direkten Linien zu seinem Privatleben, seiner Verhaftung wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen und seinem darauffolgenden Exil in der Schweiz ziehen lassen.

Handy in der Vase. Eher schon inszeniert er die Satire als allgemein gültiges Bordsteintheater – „Gott des Gemetzels“ ist ein Boulevardstück, vollgeramscht mit grobschlächtigen Charakteren und primitiven dramaturgischen Mechanismen. Der politisch korrekten Gesellschaft, die sich als fehlerlos inszeniert und vorgeblich rationale Entscheidungen trifft, reißt er die Masken vom Gesicht und schenkt ihr darüber Menschlichkeit. Die Figuren werden im Verlauf der Handlung zwar unsympathischer, aber sie wachsen einem auch ans Herz.

Polanski lehrt einen, Freude zu haben an kleinen Gemeinheiten und großen Feindschaften, an Schreikrämpfen und vulgären Ausfällen. Wenn Christoph Waltz' dauernd klingelndes Handy schließlich in der Blumenvase schwimmt und sich Kate Winslet quer durch die Wohnung erbricht, dann weiß man auch, dass „Gott des Gemetzels“ nicht zuletzt ein Mahnmal für das Unanständige ist. Ein kleiner, weiser Film.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.