Erinnerung an Sena Jurinac: Weiblichkeit in höchsten Tönen

(c) ORF (Peter Kurz)
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Zum Tod der großen Menschendarstellerin und Mitglied des legendären Wiener Nachkriegsensembles der ersten Stunde. Im Mai 1945 sang die junge Sena Jurinac an der Staatsoper den Cherubin.

Das legendäre Ensemble, ja. Sie war buchstäblich von der ersten Minute an dabei: Im Mai 1945 sang die junge Sena Jurinac, kurz zuvor aus Kroatien an die Staatsoper engagiert, aber durch Hitlers „Totalen Krieg“ am Auftreten verhindert, den Cherubin. Es war in der Volksoper, weil das Haus am Ring im März dem großen Bombenangriff vom März 45 zum Opfer gefallen war, begründete aber die Nachkriegs-Mozart-Tradition der Staatsoper. Der Name Jurinac war von da an nicht mehr wegzudenken aus den Besetzungslisten. Hosenrollen, nebst Cherubin vor allem der „Rosenkavalier“ – nicht zuletzt in Herbert von Karajans Pionier-Verfilmung der Strauss-Oper von 1960 – begründeten ihren Ruhm.

Das ist vielleicht ein wenig paradox, denn der Sopran der Jurinac war in seiner Fülle und Leuchtkraft geradezu der Inbegriff der Weiblichkeit. Sinnlich entfaltete sich die Stimme in Partien wie der Desdemona, der Butterfly, der Mimi oder der Elisabeth in „Don Carlos“ zur vollsten Blüte.

Mitte der Sechzigerjahre war dann endgültig Schluss mit den jugendlichen Männerrollen. Aus dem Octavian wurde die Marschallin, aus Cherubin die verführerisch Marina Mnischek in Mussorgskys „Boris Godunow“ – auch das in einer legendären Karajan-Produktion, allerdings bei den Salzburger Festspielen.

Ehe der Maestro Wien den Rücken kehrte, hatte er aus der Künstlerin noch eine verzehrend schön singende Poppea in einer bemerkenswerten Repertoire-Landnahme Anfang der Sechzigerjahre gemacht: Ganz gegen den Zeitgeist gebürstet, präsentierte man Monteverdi an der Staatsoper – und verwies lange vor der Originalinstrumenten-Mode, aber mit großen Vokalgestaltern angelegentlich auf die Ausdruckskraft der frühen ersten Blüte des Opern-Genres.

Die großen Emotionen der Romantik

Im Zentrum des Wirkens der Jurinac standen freilich die großen Aufwallungen der leidenschaftlichsten Partituren der Romantik und frühen Moderne. Sie war die vollblütige Jenufa in Otto Schenks dauerhafter Janáček-Inszenierung. Und aus dieser Jenufa wurde schließlich – in derselben Produktion – in den Siebzigern die Küsterin, eine atemberaubende Seelenstudie, die nicht vergessen kann, wer sie erleben durfte. Allein der Schlusssatz des Mittelaktes bleibt festgebrannt in der Erinnerung; auch als Plädoyer für Opernaufführungen in der Landessprache! Eine Interpretin dieses Formats, das war da zu lernen, fühlt sich dem Wort ebenso verpflichtet wie dem Ton, dem, was zwischen den Notenlinien steht, ebenso wie der korrekten Wiedergabe des Notentextes. Wer diese Quadratur des Opernkreises beherrscht, sichert das Überleben der Kunstform.

Der Name Jurinac war bis zu ihrem letzten Auftritt Garant für packendes, erfülltes Musikdrama. Lange Jahre hat sich die Jurinac nach ihrem Rückzug der Ausbildung junger Sänger gewidmet. Jüngst durften wir ihr an dieser Stelle noch zum 90. Geburtstag gratulieren. Es war eine ihrer letzten Freuden. Am Dienstag ist sie in ihrem Refugium in der Nähe von Augsburg friedlich eingeschlafen. sin

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2011)

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