Wahlen: Marokkos Islamisten im Aufwind

(c) Dapd (Abdeljalil Bounhar)
  • Drucken

Aus Protest gegen die weiterhin beherrschende Stellung des Königs wollen immer mehr Bürger am heutigen Freitag den Wahlurnen fernbleiben. „Boykottiert die Wahl“, fordert die Reformbewegung.

Madrid/Rabat. „Wir gehen nicht wählen“, rufen die Menschen auf den Straßen der marokkanischen Hafengroßstadt Tanger. „Wir sind kein Stimmvieh.“

Zehntausende gehen seit Monaten jede Woche in Tanger, der Hauptstadt Rabat, der Geschäftsmetropole Casablanca und anderen Orten Marokkos auf die Straße, demonstrieren für „wirkliche Demokratie“, gegen „Korruption“ und die „Willkürherrschaft“ des Königshofs. „Boykottiert die Wahl“, fordert die Reformbewegung „20.Februar“, benannt nach jenem Tag, an dem auch im Reich von König Mohammed VI. der Protest explodierte.

Getrieben vom Arabischen Frühling vor seinen eigenen Palasttoren sowie in den nordafrikanischen Revolutionsländern Ägypten, Libyen und Tunesien, sah sich Marokkos Monarch gezwungen, die Parlamentswahl vorzuziehen. Am heutigen Freitag sollen die Marokkaner über ihre Zukunft entscheiden, und der König verspricht, dass die Abstimmung dieses Mal „frei und fair“ ablaufen wird. Die Reformbewegung, deren unermüdlichen Proteste von den staatlichen Medien totgeschwiegen werden, kritisiert diesen Wahlgang hingegen als „Farce“, mit der der 48-jährige Mohammed lediglich seine Allmacht weiter bemänteln wolle.

König will Islamisten ausbremsen

Wie in Tunesien, wo die Islamisten die Wahlen vor einem Monat gewannen, befinden sich auch Marokkos Religiöse im Aufwind, obwohl der Königshof seit Jahren versucht, die immer stärkeren Islamisten auszubremsen. Die wohl einflussreichste islamistische Bewegung „Gerechtigkeit und Wohlfahrt“, die seit Jahren verboten ist und daher bei der Wahl nicht antreten darf, fordert das „Ende der autokratischen Herrschaft“ des Königs und animiert ihre Anhänger zum Boykott.

Eine zweite, moderatere islamistische Bewegung, die „Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei“ (PJD), die die Rolle des Königs öffentlich nicht infrage stellt, darf aber antreten und könnte sogar ziemlich stark werden. In der vergangenen Wahl 2007 hatte die PJD bereits die meisten Stimmen geholt, wenn auch nicht die meisten Mandate errungen und stellte seitdem im Parlament die größte Oppositionsgruppe.

Stärkste Fraktion wurde damals die konservativ-nationalistische Istiqlal-Partei, aus der auch der bisherige Regierungschef kommt, Abbas el-Fassi, der Vorsitzende einer Fünf-Parteien-Koalition. Nun soll eine vom Königshaus aus acht Parteien zusammengeschweißte „Allianz für Demokratie“ den absehbaren Aufstieg der Islamisten aufhalten.

Letztes Wort liegt bei Mohammed

Nach einer Verfassungsreform, mit der MohammedVI. auf die Straßenproteste reagierte, muss der König den künftigen Regierungschef zwingend aus der stärksten Parlamentsfraktion berufen. Deswegen ist dem Monarchen daran gelegen, die Islamisten kleinzuhalten.

In der neuen Verfassung, die von der Protestbewegung als „Scheinreform“ abgetan wird, wurden die Kompetenzen von Parlament und Regierung etwas erweitert, der König behält aber in allen wichtigen Dingen das letzte Wort. Er bleibt auch „Befehlshaber der Gläubigen“ und damit oberste religiöse Instanz. Mohammed ist der reichste und mächtigste Mann Marokkos sowie wichtigster Unternehmer im Staat.

Auch die Wahlbeteiligung dürfte ein Prüfstein werden. 2007 gaben nur etwas mehr als ein Drittel der eingeschriebenen Wähler ihre Stimme ab – das war ein Minusrekord. Nun könnte die Beteiligung noch weiter sinken. Immer mehr Marokkaner sind politikverdrossen, weil sie keine Chance auf eine Änderung sehen.

Wissen

Marokko gilt als das ärmste Land Nordafrikas. Jeder Fünfte der 32 Mio. Einwohner hat laut Weltbank weniger als einen Dollar täglich zur Verfügung. Die Jugendarbeitslosig- keit ist sehr hoch, die Wohnungsversorgung schlecht. 44Prozent der Marokkaner sind Analphabeten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Appetithappen für Demokraten

Marokkos König reformiert nur zaghaft. Einen Versuch ist sein Ansatz aber wert.
Marokko: Gemäßigte Islamisten gewinnen Wahl
Außenpolitik

Marokko: Gemäßigte Islamisten gewinnen Wahl

Die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung erreichte mit 80 von 395 Sitzen deutlich mehr als jede andere Partei. Die Unabhängigkeitspartei von Ministerpräsident Abbas al-Fassi landete auf Platz zwei.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.