Adolf Eichmann: Die Karriere eines Henkers

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Vor 50 Jahren wurde der NS-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann, der jahrelang unbehelligt in Argentinien gelebt hatte, in Jerusalem zum Tode verurteilt.

Wie jeden Wochentag nimmt Ricardo Klement auch am Abend des 11.Mai 1960 den Bus 203 nach San Fernando, einen Vorort der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Kurz nach 20 Uhr, ein wenig später als üblich, biegt der Mann mit der dunklen Hornbrille in die Garibaldi-Straße ein, wo er mit Frau und Kindern lebt. Nur wenige Gehminuten von seinem Wohnhaus entfernt spricht ihn ein Unbekannter an und überwältigt ihn. Kurz rangeln die Männer, dann zerrt der Unbekannte Klement in einen dunklen Wagen. Sie fahren davon.

Die kurze Aktion, die als „Operation Garibaldi“ in die Geschichte einging, hatten Mossad-Agenten zweieinhalb Jahre lang in jedem Detail vorbereitet. Schließlich ging es um die Ergreifung und Entführung von Adolf Eichmann, dem Organisator des Holocaust. Seit 1950 hatte der frühere Leiter des Referats IV B 4 des Berliner Reichssicherheitshauptamts, das die Nazis zur Vertreibung und Deportation der europäischen Juden gegründet hatten, unter dem Namen Ricardo Klement unbehelligt am Rande der argentinischen Hauptstadt gelebt.

Der israelische Geheimdienst hielt den damals 54-Jährigen noch weitere neun Tage in einer Villa in Buenos Aires fest und flog ihn am 20. Mai 1960 nach Israel aus – getarnt in der Uniform eines Mitarbeiters der israelischen Fluglinie „El Al“. Nur elf Monate später begann der große NS-Kriegsverbrecherprozess vor einem Bezirksgericht in Jerusalem, der einen Wendepunkt in der Vergangenheitsbewältigung Deutschlands und Israels markierte.

Täglich verfolgten Menschen weltweit im Fernsehen, wie Eichmann, in dunklem Anzug, in einer schusssicheren Glaszelle auf Deutsch Fragen über seine Rolle beim Massenmord an etwa sechs Millionen Juden beantwortete. Darüber, wie er die Enteignung der Juden vorantrieb, wie er KZs bauen ließ, wie er die Organisation von Zügen zu den Gaskammern anordnete, wie er die Vernichtungslager kontrollierte.

„Die Leute hatten das Thema abends beim Fernsehen plötzlich im Wohnzimmer, die Kinder stellten Fragen“, sagt die Hamburger Philosophin Bettina Stangneth, die in dem jüngst erschienenen Buch „Eichmann vor Jerusalem“ die Karriere des SS-Mannes rekonstruiert.

Live-Geschichtsstunde. Israel inszenierte das Verfahren als Geschichtslektion, in der erstmals Überlebende zu Wort kamen. 108 Männer und Frauen, die als Zeugen geladen waren, zeichneten durch die Erzählung ihrer Lebensgeschichten ein umfassendes und lebendiges Bild des Holocaust. So brachten sie ein Thema ans Licht, über das sie 16 Jahre nach Kriegsende kaum gesprochen hatten. Ein Tabu war gebrochen; ein Thema, über das in den Jahren zuvor beharrlich geschwiegen worden war, wurde öffentlich. In der Folge kam es in Deutschland zu einer Reihe von Kriegsverbrecherprozessen.

Eichmann selbst präsentierte sich im Prozess als „Schreibtischtäter“, der bloß Befehle seiner Vorgesetzten erfüllt habe. Er sei nur „ein kleines Rad im Getriebe“ gewesen. Die viermonatige Verhandlung nutzte er als Bühne, um „sein Bild öffentlich zu korrigieren, natürlich zu seinen Gunsten“, sagt Stangneth. Er habe „die Banalität des Bösen“ – in Anspielung auf Hannah Arendts Prozessbeobachtungen – nur gespielt, und das „ziemlich überzeugend“. Am 15. Dezember 1961 wurde er zum Tode verurteilt und in der Nacht auf den 1.Juni 1962 gehängt – als erster und bisher einziger Mensch in Israel. Seine Asche wurde über dem Meer verstreut.

Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft 1945 gelang es Eichmann, unterzutauchen. Die Geschichte seiner Flucht ist auch eine Geschichte der Versäumnisse: Zweimal gab es nach Kriegsende die Chance, den Kriegsverbrecher in Altaussee im steirischen Salzkammergut zu schnappen, wo seine Frau Veronika lebte. Und zweimal schaffte er es, seinen Kopf zu retten. Diese Details gehen aus einer Simon-Wiesenthal-Biografie des Historiker Tom Segev hervor.

1947 erfuhr Simon Wiesenthal, dass Eichmann sich im Altausseer Ortsteil Fischerndorf Nummer 8 aufhielt, und veranlasste eine Hausdurchsuchung. Irrtümlich fuhr die Gendarmerie zur Nummer 38. Dort konnte zwar ein anderer gesuchter Kriegsverbrecher verhaftet werden, Eichmann war aber bereits über alle Berge.

In der Lüneburger Heide verdingte er sich einige Jahre als Holzfäller und Hühnerzüchter. Als es ihm in Norddeutschland zu brenzlig wurde, schlug er sich über Österreich nach Italien durch, um von Genua per Schiff nach Buenos Aires zu gelangen. Auf der Durchreise durch Österreich Ende 1949 bot sich die zweite Chance auf seine Ergreifung: Er wollte seine Familie im Salzkammergut besuchen. Der Zugriff in Altaussee sollte am Silvesterabend erfolgen, alles war geplant. Doch ein israelischer Agent, der an der Polizeiaktion teilnehmen wollte, verplauderte sich. Die Aktion flog auf. Eichmann entwischte der Justiz vorerst.

Neues Leben, alte Grundsätze. Als Ricardo Klement ging er schließlich am 14. Juli 1950 in Buenos Aires von Bord eines Überseedampfers und begann ein neues, den alten Gesinnungen verpflichtetes Leben. Wochentags arbeitete er in einem Mercedes-Benz-Werk. Samstags und sonntags widmete er auch in Argentinien dem Nationalsozialismus. Er traf andere Nazis, diskutierte mit ihnen und entwarf ein neues Geschichtsbild, in dem sie die Helden waren. „Dort blüht Eichmann wieder auf, er hat Publikum und darf Nazi sein“, sagt Stangneth. Ihnen erzählt er „haarklein alle Details von den Gaskammern“. Eichmann sei stolz auf die Judenvernichtung gewesen, „alle anderen wollten das eher verbergen“.

1952 ließ er die Familie nachkommen. Seit dieser Zeit soll der Vorläufer des deutschen Bundesnachrichtendienstes gewusst haben, wo Eichmann war. Darüber schwieg sich die Behörde aber lieber aus – wohl, um ehemalige Nazis in hohen politischen Ämtern nicht in Bedrängnis zu bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2011)

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