Wenn der Berater Rollstühle schiebt

(c) Erwin Wodicka
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Unternehmen sehen soziales Engagement zunehmend als rentable Strategie, durch die ihre Mitarbeiter wertvolle Fähigkeiten dazugewinnen. Unternehmensberater von PwC basteln und musizieren mit alten Leuten.

Wien. Wer hätte gedacht, dass ein Führungskräftetraining so aussehen kann? Unternehmensberater der Firma PricewaterhouseCoopers (PwC) stehen vor der logistischen Herausforderung, 30 ältere Herrschaften in Rollstühlen in einen Bus zu verfrachten, damit man gemeinsam zum Christkindlmarkt fahren kann. Und das ist noch die einfachere Übung: Der regelmäßige Kontakt mit den pflegebedürftigen Bewohnern der Diakonie-Hausgemeinschaften Erdbergstraße ist für die unter ständigem Termindruck stehenden Mitarbeiter von PwC eine Übung in Geduld und Entschleunigung.

Bei PwC hat man für den ehrenamtlichen Einsatz der Mitarbeiter bewusst keinen Bereich ausgewählt, in dem sie ihre Fachkenntnis einsetzen können. Im Gegenteil: Die Unternehmensberater basteln und musizieren mit den alten Leuten, organisieren Feste und Ausflüge oder hören ihnen einfach nur zu. „Es ist ungemein wohltuend, wenn du aus deinem Arbeitsumfeld, in dem Zeit Geld ist, in ein Universum hineinversetzt wirst, in dem Zeit keine Rolle spielt“, sagt Thomas Steinbauer, Steuerberater und Koordinator der ehrenamtlichen Aktivitäten von PwC Österreich.

Sozialkompetenz schlägt Effizienz

Im Umgang mit älteren Menschen gibt es keine lehrbuchmäßigen Regeln, man muss sich auf sein Gefühl verlassen. Das flößt manchen Mitarbeitern richtiggehend Angst ein: „Was machst du, wenn ein dementer Mann in Tränen ausbricht, weil er dich für seinen Sohn hält?“

Wirklich zuhören zu können statt von vornherein mit vorgefertigten Lösungen zu kommen, das sei eine stark vernachlässigte Kompetenz in der Unternehmensberatung, ist Steinbauer überzeugt. Und genau darin liege der Mehrwert für das Unternehmen.

PwC profiliert sich gegenüber der Konkurrenz mit dieser Initiative natürlich auch PR-tauglich: als die Unternehmensberatung mit sozialem Gewissen. Der Widerspruch zwischen dem extremen Leistungsdruck im Arbeitsalltag und der entschleunigten freiwilligen Arbeit bleibt aber bestehen.

Zwar gibt es pro Jahr ein Zeitbudget von insgesamt 500 Stunden für das soziale Engagement der Angestellten während der Arbeitszeit, de facto müssen die Mitarbeiter den Zeitverlust aber doch wettmachen. Deadlines bleiben schließlich Deadlines, und der Kunde hat wenig Verständnis dafür, dass die Dame in der Hausgemeinschaft einem eben zwei Stunden lang ihre Lebensgeschichte erzählt hat.

Thomas Steinbauer ist aber überzeugt, dass diese Arbeit für den stressigen Alltag resistenter macht, weil man lernt, die Prioritäten immer wieder zu reflektieren und neu zu setzen. „Wenn zum Beispiel von Kunden plötzlich massiv Zeitdruck ausgeübt wird, was immer wieder vorkommen kann, so kann ich mich mittlerweile ganz gut abgrenzen.“

Gutes tun und Gewinn machen

Wenn man Bea Boccalandro glauben darf, zeichnet sich in der Welt des Corporate Social Volunteering, also der von Unternehmen geleisteten Freiwilligenarbeit, eine neue Entwicklung ab. Boccalandro berät mit ihrer Firma VeraWorks Firmen, die die Wirkung ihrer sozialen Projekte steigern und an die Unternehmensstrategie anpassen wollen.

Ihren Studien zufolge gibt es zwei Faktoren, die den Erfolg eines Projekts bestimmen: Man muss erstens das soziale Engagement der Mitarbeiter in ihre berufliche Funktion integrieren und zweitens die Ressourcen des Unternehmens so gut wie möglich in das Projekt einbringen. Dabei ist es durchaus nicht verpönt, wenn man sich nicht nur fragt, was das Unternehmen für den sozialen Sektor tun kann, sondern auch, was der soziale Sektor für das Unternehmen tun kann.

Pionierarbeit in China

IBM ist eines der Unternehmen, die sich seit 2003 strategisch mit dem Thema soziales Engagement auseinandersetzen. 2007 wurde das Corporate Service Corps ins Leben gerufen. Erklärtes Ziel ist es, Projekt- und IT-Know-how in Länder zu bringen, die sich eine aufwendige Beratung nicht leisten können. Dabei konzentriert man sich auf wachstumsstarke Schwellenländer wie Brasilien oder China, in denen auch der Nährboden für fruchtbare Geschäftsbeziehungen gelegt werden kann.

Doris Dorfmeister, Projektmanagerin bei IBM, war im Jahr 2009 mit zehn anderen Kollegen für IBM ein Monat lang in Chengdu in Ostchina, einer der entwicklungsschwächsten Regionen Chinas. Vor Ort stellte sie ihr Know-how Schulen und Universitäten zur Verfügung. Der Einsatz vor Ort wurde intensiv vor- und nachbereitet. Insgesamt sechs Monate dauerte das Programm.

Die Förderung von Fremdsprachenkompetenz war ein Bereich, in dem das Wissen von IBM in China sinnvoll eingesetzt werden konnte. Diese Initiative soll künftigen IBM-Teams in China den Weg ebnen. Dorfmeister erinnert sich: „Wir hatten acht Übersetzer dabei, ohne die wir im Alltag verloren gewesen wären. Die chinesischen Unisextoiletten waren für uns ebenso übersetzungsbedürftig wie Firmendokumente.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2011)

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