Zwillinge in der Schule: Zusammen oder getrennt?

Zwillinge Schule Zusammen oder
Zwillinge Schule Zusammen oder(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Zwillinge sind äußerlich zwar oft kaum zu unterscheiden, trotzdem müssen viele Erziehungsfragen individuell getroffen werden – auch, wenn es um die getrennte oder gemeinsame Einschulung geht.

Wien. „Ich bin drei Jahre älter als du!“, sagt Lukas und sieht seinen Bruder dabei triumphierend an. Matthias greift sich mit einer verzweifelten Geste an den Kopf und protestiert sofort: „Stimmt nicht, das geht gar nicht! Nur drei Minuten!“ Die beiden Erstklässler sind Zwillinge und, wie ihre Mutter erzählt, „auch die allerbesten Freunde“. Bei ihrer Einschulung war den Eltern daher auch sofort klar: Nein, die beiden sollten nicht getrennt werden, sondern gemeinsam in eine Klasse gehen. „Warum sollte man die besten Freunde, nur weil sie Geschwister sind, trennen?“, fragt ihre Mutter.

So einfach sind Fragen rund um die Einschulung von Zwillingen aber nicht immer zu beantworten – im Gegenteil. Ob Zwillingsgeschwister in verschiedene Klassen gehen oder doch lieber zusammenbleiben sollten, ist für die Eltern oft eine der schwierigsten Entscheidungen. Gerade in diesem Bereich gibt es wenige bis gar keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf die sich Rat suchende Eltern stützen können. Auch die sogenannte Zwillingsforschung beschäftigt sich weniger mit den praktischen Problemen im Alltag von Zwillingen als vielmehr mit Fragen der Humangenetik.

Keine spezielle Forschung

„Es gibt keine spezielle Forschung, die sich mit pädagogischen Ansätzen bei der Erziehung von Zwillingen auseinandersetzt“, sagt Rainer Riemann von der psychologischen Fakultät der Universität Bielefeld. Ein Aspekt, den man beleuchten könne, seien aber die Konsequenzen, die die Trennung von Zwillingen haben kann.

„Das Argument von Trennungsbefürwortern, dass die Zwillinge nur so eine eigenständige Persönlichkeit entwickeln können, mag oft stimmen. Hingegen gibt es Zwillinge, die nicht getrennt werden wollen“, sagt Riemann. Er gibt zu bedenken, dass manche Zwillinge eine so enge Bindung haben, dass sie unter einer erzwungenen Trennung leiden würden. Klar sei: Die richtige Vorgangsweise müsse immer eine Einzelfallentscheidung sein, Patentlösungen gebe es keine.

Selbst wenn eine Entscheidung gefällt wurde, bleibt es mitunter kompliziert: Denn oft sind es die Schulen selbst, die Eltern und Kindern Steine in den Weg legen. „Als wir unserer Wunschschule sagten, dass wir unsere Söhne zusammenlassen wollen, hieß es: ,Entweder Sie trennen Ihre Zwillinge, oder Sie suchen sich eine andere Schule“, erzählt die Mutter von Matthias und Lukas. „Die Direktorin argumentierte, dass man Zwillinge trennen müsse. Sonst würden sie immer von den Lehrern verglichen.“ Schließlich fand sich doch eine Volksschule, die auf die Vorstellungen der Eltern einging: die Schubertschule im neunten Wiener Gemeindebezirk.

Schulleiterin Karin Emmett hält nichts von Bevormundung: „Die Eltern kennen ihre Kinder am besten. Funktioniert es doch nicht so, wie sie es sich vorgestellt haben, suchen wir gemeinsam nach einer neuen Lösung.“ Dass ihre Schule momentan geradezu einen „Zwillingsboom“ erlebt, sei zwar ungewöhnlich, aber reiner Zufall: Neben Matthias und Lukas gibt es in der Volksschule derzeit noch vier weitere Zwillingspaare sowie Drillinge.

Erzwungenes Zusammenbleiben kann ebenso Nachteile haben, wie Lydia Hauenschild erzählt. Sie hat über die Erfahrungen als Zwillingsmutter sogar ein Buch geschrieben: den Ratgeber „Zwillinge – die doppelt süße Last“. „Als meine Zwillingssöhne, Philip und Bernhard, vier Jahre alt waren, hat mir eine Frau, die selbst Zwilling war, geraten, die beiden wann immer möglich zu trennen.“ Die Frau selbst habe darunter gelitten, dass ihr die Trennung von ihrer Zwillingsschwester nie gelungen war – sogar als Erwachsene konnte sie nicht einmal einen Sprachkurs allein besuchen. Hauenschild wollte dem Rat folgen – im Kindergarten bezeichnete man eine Trennung aber als „unmenschlich“, der Einschulungsjahrgang der Brüder bestand nur aus einer Klasse. Die Zwillinge blieben zusammen – mit Konsequenzen. „Phillip war der dominante, er unterdrückte seinen Bruder solange, bis dieser ganz still und zurückhaltend wurde“, erzählt Hauenschild. Der Lehrer wiederum habe diese Sicht übernommen und diesen immer besser benotet als den schüchternen Bruder. Erst die Trennung der beiden im Gymnasium hätte die Lage entspannt, sagt Hauenschild. Der ruhigere Bernhard sei aufgeblüht und habe die gleichen Noten nach Hause gebracht, wie sein Bruder.

Trennung nach drei Jahren

Ähnliches erlebten die Zwillingsschwestern Theresa und Anna. Die neunjährigen Mädchen wechselten für das letzte Volksschuljahr in die Schubertschule. „Die ersten drei Jahre besuchten sie dieselbe Klasse, das funktionierte aber überhaupt nicht“, erzählt Direktorin Emmett. „Bei uns wurden sie getrennt, und jetzt gibt es keine Probleme mehr.“ Die Schwestern bestätigen das: Früher hätte es oft Streit gegeben, der in der Schule anfing und zuhause weiterging. Nun hätte jede ihre eigenen Freunde, sie würden nicht mehr so aufeinanderkleben wie früher.

Wie kompliziert die Erziehung sein kann, ist aber auch bei Mehrlingen eine Frage des Blickwinkels: Zwillingseltern könnten sich im Vergleich zu den Eltern der Drillinge Jakob, Sophie und Niki fast schon zurücklehnen. Auch hier hat die Schubertschule eine Lösung gefunden: Jakob und Sophie blieben zusammen, ihr Bruder Niki geht in die Klasse nebenan. Den dreien gefällt es.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.