Volksoper: "Nichts Dezentes! Outrieren!"

Volksoper Nichts Dezentes Outrieren
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"Die spinnen, die Römer": Werner Sobotka inszeniert Stephen Sondheims Musical als klassische Farce im Comicstrip-Stil. Robert Meyer in der Rolle des nestroyhaft gewitzten Sklaven Pseudolus trägt den Abend.

Morgen wird es tragisch – heute wird gelacht!“ Der Kernsatz der mitreißenden Eröffnungsnummer in buchstäblich schrägem Römer-Ambiente (Bühnenbild: Friedrich Despalmes) macht schon klar, dass die Theaterwelt, sprich, die Welt an sich, Kopf stehen wird an diesem Abend. „Nichts Dezentes, wir wollen outrieren!“, schmettert das Ensemble – und hat damit zweieinhalb Stunden lang zu tun, die effiziente Choreografie von Ramesh Nair inbegriffen, die alle auf Trab hält zwischen Liebesnöten, Ehejoch, Verkleidungen, Verwechslungen, Zaubertränken, verschollenen und wiedergefundenen Nachkommen – sowie dem unbändigen Wunsch nach Freiheit.

1962 brachte das Multitalent Stephen Sondheim „A Funny Thing Happened on the Way to the Forum“ am Broadway heraus, wofür er Musik und Songtexte geschrieben hatte – der eigentliche Durchbruch des Dichters von Bernsteins „West Side Story“ (1957) sowie Schöpfer von Text und Musik zu „Sweeney Todd“ (1979), um nur zwei seiner bekanntesten Werke zu nennen.

Nun hat das Werk als „Die spinnen, die Römer!“ an die Wiener Volksoper gefunden, die damit am Premierenabend unwidersprochen reüssieren konnte. Das liegt zunächst an Sondheim selbst, an seinem brillanten Wortwitz, der hier notgedrungen abgeschwächt ist, doch sich auch verwandelt in Martin Flossmanns deutscher Fassung mitteilt, die Regisseur Werner Sobotka adaptiert hat.

Die Qualität der Musik, vom Orchester unter David Levi mit Schmiss, Feinsinn und gottlob ohne die branchenübliche Brachialverstärkung dargeboten, steckt immer wieder im Detail: Dort, wo schlichtere Autoren sich mit bloßen Wiederholungen begnügt hätten, bringt Sondheim mit leichter Hand melodische und harmonische Varianten an, die dennoch nicht zu komplex und überladen wirken – eine brillante Gratwanderung.

Neue Paraderolle für Robert Meyer

Diese setzt sich szenisch in der Frage fort, wie viel Chargieren, wie viel Überzeichnung man dem Publikum nicht bloß ungestraft unterjubeln kann, sondern sogar so, dass es darob selbst in Jubel ausbricht. Jeden Blödsinn kauft man zumindest Robert Meyer als Sklave Pseudolus ab, der alle Hebel in Bewegung setzt, um seine Freiheit zu erlangen und dabei tüchtig in diverse Bredouillen gerät, bevor sich sein Traum erfüllt.

Eine neue Paraderolle für den Volksoperndirektor, der die Figur mit einem Anflug von Nestroy'schem Tiefsinn ausstattet – und zudem auch gesanglich, trotz einer vorübergehenden Schwäche im ersten Akt, höchst anständig und sicher agiert. Die sympathischste vokale Schützenhilfe erhält er dabei von Paul Schweinester, der als wimmernd-verliebtes Waschläppchen Hero (nomen non est omen) schlicht ideal besetzt ist.

Daneben werden in der mit Mikroports ausgestatteten Besetzung musikalische Divergenzen offenbar, prallen im weitgehend guten Ensemble typischer, auch mal schnoddriger Musical-Tonfall (etwa von Boris Pfeifer als hyperaktiv trippelndem Hysterium) und opernhafte Anmutung (Florian Spiess ist als selbstverliebter Soldaten-Lackl Miles Gloriosus nur äußerlich optimal und hinkt darstellerisch den anderen hinterher) unvermittelt aufeinander.

Domina, Eunuchen und Puffmutter

Die Typen aber passen bei Dagmar Hellberg als hantiger Domina, Herbert Steinböck als Senex im Wunsch bleibenden zweiten Frühling, Bettina Mönch als lieblich-dummer Philia, Sigrid Hauser als über sechs Kurtisanen wachenden Puffmutter, Gernot Kranner als Nachbar und nicht zuletzt drei Herren (Oliver Liebl, Tom Schimon, Ronnie Veró Wagner), die im Laufschritt als Eunuchen, Soldaten oder unfallsweise beides über die Bühne wuseln.

Sobotkas Inszenierung unterstreicht die ironische Distanz zu allen Charakteren rund um Pseudolus, steigert nach der Pause die Hochtourigkeit des Geschehens in atemlosem Gerenne aller Charaktere bis zum Durchdrehen: eine Farce par excellence. Gerade bei Ausstattung (Kostüme: Elisabeth Gressel) und Nebenfiguren lässt sich die Produktion aber etwas zu viel vom Asterix-Universum inspirieren, welches ja auch den aktuellen deutschen Titel liefert, und bei ständig aktivierter Pointenschleuder kann halt nicht jede Wuchtel ins Tor treffen.

Doch lässt sich das Publikum dieses Bombardement aus allen Rohren dankbar gefallen und reagiert zuletzt enthusiastisch: Schließlich wird es morgen, wie wir wissen, noch tragisch genug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2011)

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