Das kleine Eisenwarengeschäft: Überleben ist alles

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kleine Eisenwarengeschaeft ueberleben alles(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Kleine Traditionsunternehmen können trotz großer Konkurrenten durchaus bestehen, aber man muss erst einmal jemanden finden, der sie führen will. Auch das nötige Fachwissen ist heute selten.

Nachfolger gesucht!“, verkündet ein Schild in der Auslage der Eisenhandlung in der Währingerstraße, Wien 18. „Beste Lage. Großer Kundenstock“, ist da zu lesen. Und: „Existenzsichernd. Große Käuferfrequenz“. Das Haushalts- und Küchengerätegeschäft Riel, das weit mehr zu bieten hat als Eisenwaren, sucht einen jungen Unternehmer, der die Nachfolge antreten will. Rainer Riel, der den Laden vor zwölf Jahren übernommen hat, will bald in Pension gehen. Dass sich bislang keiner gefunden hat, der das Geschäft weiterführen will, habe mit der Einstellung der Menschen zu tun, meint der ehemalige Handwerker: „Die meisten wollen sich die Hände nicht schmutzig machen. Sie wollen lieber in einem Büro arbeiten. Keiner will heute noch Arbeiter sein.“

Riel arbeitet viel. Seit seine Partnerin vor zwei Jahren ausgestiegen ist, führt er das Geschäft allein. Seine Frau hilft ihm im Verkauf. Von acht Uhr früh bis 18 Uhr steht Riel im Geschäft, oft bleibt er lange nach Ladenschluss, an den Wochenenden macht er die Buchhaltung. „Das sind 70 Stunden in der Woche“, sagt er. Das schrecke viele Bewerber ab. „Man muss gerne arbeiten“, beschreibt Riel die Eigenschaften eines potenziellen Nachfolgers. Er müsse kundenfreundlich sein, hilfsbereit. Reich werde man zwar nicht damit. Aber man könne ganz gut davon leben. „Ich würde es heute wieder machen.“

Persönliche Beratung. Die Eisenwarenhandlung, die in dieser Form seit 1879 existiert, war erst im November in einer Produktion der „Vienna Film Commission“ im Filmcasino zu sehen. Der Werbefilm für den Filmstandort Wien, der attraktive Räume in der Stadt vorstellt, zeigt unter anderem Riel bei der Arbeit in seinem Geschäft. Der Laden hat Charme. Auf etwa 24 Quadratmetern werden rund 30.000 Artikel angeboten: Von Nägeln und Schrauben über Thermoskannen, Maßbänder und Besen findet sich hier alles, was man zu Hause, im Garten oder für den Balkon brauchen könnte. Im Lokal ist es eng.

Stil und Einrichtung lassen vermuten, dass sich seit Jahrzehnten nicht viel verändert hat. Überall türmen sich die Produkte, hinter dem Verkaufspult schließt ein Kasten mit unzähligen Schubladen den Raum ab. In der Ecke steht ein alter Ofen, auf dem Wasser in einem Topf brodelt. Selbst am Vormittag unter der Woche herrscht reges Kommen und Gehen. Eine ältere Dame sucht Dichtungen für ihre Kühlschranktür, eine andere braucht einen Gummiriemen für ihren Druckkochtopf, ein Herr möchte vier Schrauben einer bestimmten Größe. Riel nimmt sich Zeit für die persönliche Betreuung der Kunden. Viele kommen wieder, um ihm von ihren Erfolgen beim Heimwerken zu berichten und sich weitere Tipps zu holen. Die Nachfrage für seine Produkte ist groß. Der nächste Baumarkt ist weit weg, außerdem werde man dort nicht so gut bedient, sagt Riel. Deshalb soll das Lokal auch unbedingt in der Branche bleiben. „Massagestudio soll keines rein. Wir geben das Geschäft nur als Eisenhandlung weg.“

Konkurrenz Baumarkt. Die Eisenhandlung Menzel auf der Alserbachstraße in Wien-Alsergrund ist um ein Vielfaches größer als Riels Laden. Rund 70.000 Artikel werden hier auf einer Fläche von achthundert Quadratmetern verkauft. Eine Homepage informiert über Produktneuheiten. Über einen Nachfolger macht sich Inhaberin Elisabeth Menzel noch keine Gedanken. Außerdem bezweifelt sie, dass Bewerber heute noch das nötige Fachwissen mitbringen. Der Betrieb, seit mehr als 70 Jahren in Familienbesitz, hat sieben Angestellte. Diese wären dringend nötig, meint Menzel, „damit man sich nicht zum Krüppel des eigenen Geschäfts“ macht.

Kleine Betriebe, sagt die Kommerzialrätin, hätten ein Problem: „Der Kunde möchte heute alles haben. Erst die Größe ermöglicht es, viel anzubieten. Wenn man das nicht bringt, gehen die Kunden.“

Das bestätigt Andreas Kreutzer vom Marktanalysebüro „Kreutzer, Fischer und Partner“. „Klassische Eisenwarenhandlungen scheitern an ihrer Fläche. Die Ware, die sie unterbringen können, reicht nicht aus, um das Geschäft ertragreich führen zu können.“ Außerdem werde heute weniger repariert als früher. Der Markt für Eisenwaren sei durch die großen Baumärkte abgelöst worden. „Er geht seit mindestens 20 Jahren zurück“, sagt Kreutzer. Die klassischen Betriebe böten dieselben Produkte an wie die Baumärkte, nur mit „Schraubenberatung“. Dieser Geschäftstyp hätte daher wenig Zukunft. „Wegen der geringen Fläche müssen die Betriebe entscheiden, was sie überhaupt anbieten sollen“, sagt Kreutzer.

Besonders stolz ist Elisabeth Menzel auf die Design-Produkte in ihrem Küchensortiment. „Junge Menschen wollen pfiffige Dinge, keine alten Klebehaken“, sagt sie. In den letzten Jahren wären viele deutsche Studenten in die Gegend gezogen, die Fachgeschäfte gar nicht mehr kannten. Die Begeisterung sei groß. „Mein Konzept funktioniert“, sagt die Unternehmerin.


Kleine Betriebe vernetzen.
Menzel schlägt vor, alle Kollegen sollten bei der Vernetzung der kleinen Betriebe mitmachen. Damit sie nicht aussterben. „Das Wort Konkurrenz darf es nicht mehr geben. Wir müssen die Leute an den Bezirk binden“, sagt sie. Außerdem sollten auch die kleinen Betriebe Leute einstellen. „Man muss unbedingt Angestellte haben, sein Wissen teilen.“

Rainer Riel hingegen kann sich keine Angestellten leisten: „Sie können gar nicht so viel einbringen, dass es sich rentiert.“ Er sei allerdings durchaus bereit, seinen Nachfolger zwei bis drei Monate einzuschulen. Sonst gehe über Jahre angeeignetes Wissen verloren, das wäre schade. Aber Riel wird nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden und einfach in Pension gehen. Man merkt, dass ihm das Geschäft am Herzen liegt. Er wird erst gehen, wenn er einen passenden Nachfolger gefunden hat. „Bis dahin mache ich weiter.“ Dann kommt auch schon der nächste Kunde.

Kleine und mittlere Unternehmen
(KMU) haben einen wesentlichen Einfluss auf die Wirtschaftsstruktur. Gemeint sind Kleinst- (bis neun Angestellte), Klein- (zehn bis 49 Beschäftigte) und mittlere (50 bis 249 Angestellte) Unternehmen. In Österreich ist der unternehmerische Mittelstand besonders ausgeprägt: 99,6 Prozent der Unternehmen sind KMU. Die rund 299.000 Betriebe erwirtschaften einen Nettoumsatz von 405 Milliarden Euro im Jahr und beschäftigen 62 Prozent aller Erwerbstätigen (Wirtschaftsdaten 2010).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2012)

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