„Lieber Christian“: Ein Volk von Hofnarren heult gegen den Wulff

„Wulff“ und „Witz“ bringt 5,2 Millionen Google-Einträge: Die größte Gefahr für den Bundespräsidenten ist das entfesselte Humorpotenzial der Deutschen.

Lieber Christian, so geht Transparenz“, verkündet eine Blondine im durchsichtigen Negligé von der Plakatwand. Harald Schmidt wirft sich in präsidiale Sorgenfalten, wenn er dem Fernsehvolk als Reserve-Wulff den Ernst der Weltlage erklärt: „Gut, wer in solchen Krisenzeiten Freunde hat, die Frauen haben, die Geld haben.“ Der Satiriker Kalkofe übt sich in der Rolle eines Pressesprechers des Bundespräsidenten: Der Chef und seine reichen Unternehmerkumpels „kannten sich schon als Embryos“. Das Satiremagazin „Titanic“ legt E-Postkarten mit Wulffs Konterfei und boulevardesker Headline auf: „Dieses Milchbubi ist der Bild-Erpresser!“ Und auch bei Schriftsteller Peter Glaser weicht das Pathos längst der Pointe: „Die Würde des Amtes klingt immer mehr nach Konjunktiv.“

Der Wulff und der Witz: Nimmt man beide in Google zusammen, wird die Suchmaschine 5,2 Millionen Mal fündig. Nicht nur ein paar berufliche Humorproduzenten, ein ganzes Volk hat Christian Wulff zum satirischen Abschuss freigegeben – und mit ihm ein Amt, das der schwarz-rot-goldenen Republik eben noch als sakrosankt galt. Was im Mittelalter nur den Hofnarren erlaubt war, nämlich das rotzfreche Wort gegen die Mächtigen zu erheben, ist unversehens zum Volkssport der Deutschen geworden.

Im Internet brodelt eine stetig anschwellende Brühe aus Spott und Häme. Sie wird zur Bedrohung, weit mehr als die moralinsauren Tiraden, mit denen die Großinquisitoren aus den Leitmedien das Staatsoberhaupt vom Thron stoßen wollen. Wulff glaubt, dass er seine multiplen Affären aussitzen kann, im Amt und ohne Würden. Aber da hat er die Rechnung wohl ohne den herzerquickenden Humor seiner Landsleute gemacht. Nein, es ist nicht alles lustig, und es ist ein wenig viel des Guten. Aber auch Richard Wagner hat in den „Meistersingern“ fünf Stunden gebraucht, um den umständlichen Schmäh seiner Landsleute zum Klingen zu bringen. Mit deutscher Gründlichkeit, diesem bewährten Klischee, reißen die scherzenden Bürger die Mauer der Erhabenheit ein, wie einst die Mauer von Berlin. Und der Karneval steht uns noch bevor.

Im Magazin der Micky Maus bellt Hundepräsident Wulff auf den Anrufbeantworter Quiekmanns, um Berichte im Enten-Kurier zu verhindern. Ein Fremdgeh-Portal wirbt mit Affären, die garantiert geheim bleiben – anders als die Tricksereien des Staatsoberhaupts. Nein, auch der Geschmack ist nicht immer der beste. Und manchmal wünscht man sich insgeheim, der „Jäger des verlorenen Anrufs“ möge kraft seines beschädigten Amtes den Paragraphen 90 des Strafgesetzbuches auspacken. Die „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“ ist eine zeitgemäße Version der guten alten Majestätsbeleidigung, mit Haftstrafen wie bei schwerer Körperverletzung. Aber gegen ein ganzes Volk von schalkhaften Rechtsbrechern ist selbst der Schlossherr von Bellevue machtlos.

Gottlob gibt es auch ausgleichende Humorattacken gegen die Medien. Die „Titanic“ hat schon den Kurs gewechselt und stichelt nun gegen den pervertierten Jagdinstinkt der Presse: „Sonntag: Familie Wulff wird schon wieder nicht beim Gottesdienst gesehen. ,So wahr mir Gott helfe‘ – war das ein Meineid?“ Und dann wäre da noch Bettina Schausten. Die ZDF-Interviewerin hat Wulff an Peinlichkeit übertrumpft, als sie dem verdutzten Präsidenten erklärte, sie zahle 150 Euro für Übernachtungen bei ihren Freunden. Passiert dies öfter, geben bloggende Juristen zu bedenken, dann betreiben diese Freunde einen Beherbergungsbetrieb. Ob sie dafür Umsatzsteuer abliefern? Nein? Da haben wir schon den nächsten Skandal.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.