Am Ende bleiben nur Steuererhöhungen

Ende bleiben Steuererhoehungen
Ende bleiben Steuererhoehungen(c) Reuters (Thierry Roge)
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Wer die EZB und den gesellschaftlichen Zusammenhalt auseinanderbrechen lassen will, wählt Inflation. Bleiben nur Steuererhöhungen.

Die derzeitige Diskussion über den Euro mag den Eindruck aufkommen lassen, dass die gegenwärtige Krise vor allem, oder gar ausschliesslich, eine Schuldenkrise ist. Dieser Eindruck täuscht: Die Krise ist vielmehr eine politische, genauer: eine Staatskrise.

Dies klingt übertrieben hart, trifft aber aus folgendem Grund zu: Je mehr sich ein Staat in der Vergangenheit verschuldet hat, desto geringer sind seine gegenwärtigen und zukünftigen Handlungsmöglichkeiten. Die Budgetmittel, die für die Bedienung der eingegangenen Verpflichtungen eingesetzt werden müssen, stehen heute und morgen für politisches Handeln nicht zur Verfügung. Je grösser die Schuld, desto geringer der politische Handlungsspielraum. Im Extrem mag gar letzterer – wie gegenwärtig im Falle Griechenlands – auf null sinken. Dann mögen allenfalls die Formen nationaler Souveränität gewahrt werden, in der Sache wird dann anderweitig, etwa in Brüssel, in Washington oder an den Börsen der Welt über das Schicksal des betreffenden Landes entschieden.

Die bislang wirkungslosen, ständig aufgestockten Rettungsschirme erweisen sich ebenso wie die viel diskutierten Eurobonds in dieser Betrachtung als ein Versuch, Länder mit geringen politischen Handlungsmöglichkeiten dadurch zu entlasten, dass andere Länder auf einen Teil ihrer Handlungsfreiheiten verzichten, indem sie zu Mitschuldnern werden. Es handelt sich also der Sache nach um einen Souveränitätsverzicht bislang solider Länder zugunsten von Ländern, die mit ihrer Souveränität unsolide umgegangen sind.

Der Hinweis, dass Griechenland ein Extremfall ist, mag beruhigend sein. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass so ziemlich alle Industrienationen der Welt nicht nur verschuldet sind, sondern überschuldet sind, sie also alle – die einen mehr, die anderen weniger – heute über einen gefährlich reduzierten Spielraum für politisches Handeln verfügen und morgen verfügen werden. Auch Deutschland ist da keine Ausnahme, nicht zuletzt aufgrund der eingeleiteten „Euro-Rettungsmassnahmen“. Diese bedeuten faktisch eine Mithaftung an der Überschuldung anderer Länder. Somit sind auch hierzulande die Möglichkeiten für produktive Staatsausgaben und gesellschaftlicher Gestaltung erheblich eingeschränkt.

Durchsetzung des EU-Beschlusses steht in den Sternen

Auch der jüngste EU-Gipfelbeschluss zielt lediglich auf eine Begrenzung der Neuschulden ab, in dem er einen Eingriff in die nationale Souveränität potenzieller Defizitsünder vorsieht. Die Durchsetzbarkeit steht nach den Erfahrungen mit dem gescheiterten Maastricht-Vertrag in den Sternen. Schlimmer jedoch blieb die vitale Frage der Entschuldung zur Wiedergewinnung staatlicher Handlungsspielräume weitestgehend unberührt.

Die Entschuldung kann auf verschiedenen Wegen erfolgen: Die Staatsschuld kann – erstens – an politischer Bedeutung verlieren, wenn die betreffende nationale Volkswirtschaft wächst. Indem das Wachstum neue Mittel des staatlichen Handelns schafft, kompensiert es mehr oder weniger die schuldenindizierte Beschränkung der politischen Handlungsmöglichkeiten. Folglich ist eine staatliche Verschuldung, die auf wachstumsfördernde Ausgaben zurückzuführen ist, weniger drückend als eine, die durch staatlich finanzierten privaten und öffentlichen Konsum entstanden ist. Leider ist letzteres in vielen Ländern, wenn auch nicht überall im gleichen Mass, der Fall gewesen.

Erfolgt hingegen – zweitens – die Entschuldung durch einen harten Schuldenschnitt, wie bei Griechenland unausweichlich, würde dies im Falle grösserer Länder wie Italien, Spanien oder Frankreich zu unabsehbaren Konsequenzen für das weltweite Finanzsystem und somit letztlich der Realwirtschaft führen. Staatsbankrotte sind also sehr riskant, erfolgen aber unweigerlich, wenn die Politik nicht wirksam in einer Situation der Überschuldung handelt.

Eine weitere Möglichkeit der Entschuldung besteht – drittens – durch die Inflationierung der Währung: Die Schuldner – also auch die verschuldeten Staaten – entledigen sich dadurch real eines Teils ihrer Schulden und mögen hoffen, auf diese Weise einen Teil ihrer Handlungsfreiheit zurückzugewinnen. Selbst wenn ihnen dies gelingt, ist die Inflation nichts anderes als eine legalisierte Enteignung von Schuldnern und von Beziehern nicht indexierter Geldeinkommen. Es ist zu erwarten, dass die Leidtragenden eher im Kreis der kleinen und mittleren Sparer und Einkommensbezieher zu finden sind. Angesichts der Versuchung der politischen Akteure, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen und sich über die Geldentwertung zu entschulden, ist es von grosser Wichtigkeit, dass eine Institution  wie  die Europäische Zentralbank (EZB)frei ist, diesem Tun Grenzen zu setzen, es also nicht durch die Gelddruckmaschine zu unterstützen. Letzteres scheint aber bereits der Fall zu sein, wie die massiven Ankäufe von Staatsanleihen verschiedener Länder durch die EZB zeigen.

Wenn nun wenigstens vorerst über das Wachstum keine Entschuldung zu erwarten ist, wenn auch die Entschuldung mittels der Inflation wegen ihres betrügerischen und unsozialen Charakters nicht vertretbar scheint und man Staatsbankrotte nicht anstrebt, dann bleiben nur – viertens und fünftens – die Ausgabenkürzung und die Einnahmensteigerung.

Hinsichtlich der Ausgaben sollte selbstverständlich alles auf den Prüfstand. Allerdings sollte man grosse Hoffnungen auf diese Weise substantiellere Haushaltsüberschüsse zu erzielen, nicht haben. Eine Todsünde wären beispielsweise Ausgabenkürzungen im Bereich Bildung, Forschung und öffentliche Infrastruktur. Diese sind längerfristig wachstumsfördernd und somit – wie bereits erwähnt – eine der wenigen effektiven Möglichkeiten der Entschuldung. Auch bei Kürzungen der Sozialausgaben sollte Vorsicht geboten sein, damit nicht die Ärmsten für Fehlentscheidungen der Finanzmarktakteure aufkommen, die den Staaten ihre Überschuldung zu lange finanziert haben.

Bleiben nur noch Steuererhöhungen?

Bleibt also die Einnahmenseite, sprich: Steuererhöhungen. Diese können angesichts der massiven Verschuldung nicht nur marginal sein. Somit ergibt sich aus der derzeitigen Krise ein gewaltiges Verteilungsproblem, über das niemand so recht reden möchte. Letztlich ist es aber unvermeidbar und, einmal ausgesprochen, unmittelbar einsichtig. Irgendwer muss für die Bewältigung der Krise bezahlen. Die einzige Frage ist somit die nach der Verteilung der Lasten mittels Art und Ausgestaltung der Besteuerung. Eine Mehrwertsteuererhöhung beispielsweise würde letztlich vor allem wieder kleine und mittlere Einkommen treffen. Davon sei abgeraten, denn diese Einkommensgruppen haben vom Wachstum der letzten Jahrzehnte kaum oder gar nicht profitiert. Ein weiteres Auseinanderdriften von Arm und Reich könnte angesichts der Vorgeschichte der Krise ernstzunehmende gesellschaftliche Verwerfungen hervorrufen. Wenn die heute noch belächelte Occupy-Welle sich nicht zu einem Tsunami ausweiten soll, kommen also nur Steuererhöhungen in Frage, die hauptsächlich Hocheinkommensbezieher und Vermögende betreffen. Neben einer progressiveren Einkommensbesteuerung – Stichwort Reichensteuer – sollte auch eine Erhöhung der Erbschaftssteuer und eine Einführung einer Vermögenssteuer – wie etwa in der Schweiz – hierzulande kein Tabu sein. Nur wenn Investoren eine nachhaltige Entschuldung glaubhaft erwarten können, werden sie nicht mehr auf Staatsbankrotte wetten.

Wenn es also unvermeidlich ist, die Steuern – als möglicherweise einzig akzeptabler Ausweg aus der Krise – zu erhöhen, mag man fragen, warum dieser Tatbestand weder von den derzeitigen politischen Entscheidungsträgern noch von ihren Beraterstäben auf die politische Agenda gebracht wird. In den USA hat das Aufstreben der Tea-Party Bewegung zu einem gefährlichen Denkverbot in dieser Richtung geführt. In Deutschland diskutiert die Regierung ebenfalls lieber über Steuersenkungen, finanziert durch höhere Verschuldung, also einer weiteren Einschränkung des staatlichen Handlungsspielraums. Dies zeigt, dass die Politik noch immer im alten, populistischen Denkmuster verhaftet ist und die Dramatik der Krise nicht erkannt hat. Auf den hektisch einberufenen EU-Gipfeln hat man eine koordinierte Steuererhöhung jedenfalls noch nicht als Lösungsmöglichkeit vernommen. Doch selbst von sogenannten Experten wird die Notwendigkeit der Steuererhöhungen – von wenigen Ausnahmen wie dem amerikanischen Nobelpreisträger Edmund Phelps abgesehen – nicht vertreten. Auch für Ökonomen scheint das Dogma der wachstumsfeindlichen Steuererhöhungen unumstösslich, obschon es keine seriöse empirische Evidenz für diese inzwischen gefährliche Ideologie gibt.

Wir haben also nun die Wahl: Staatsbankrott, Inflation oder Steuererhöhungen. Wer das Finanzsystem zerstören will und eine tiefe Rezession möchte, wählt den Staatsbankrott, wer die EZB als Institution und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstören will, wählt Inflation. Ein in der Tat eingeschränkter Handlungsspielraum.

Guy Kirsch

Volker Grossmann

Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Bonn und Köln sowie der Promotion und Habilitation an der Universität Köln und einer praktischen Tätigkeit in einem internationalen Verband in Paris wurde Guy Kirsch 1973 Professor für Neue Politische Ökonomie an der Universität Freiburg/Schweiz. Seit 2009 ist er emeritiert.

Seine Publikationen umfassen u.a. die Monographien "Neue Politische Ökonomie", 5. Aufl., Stuttgart 2004 und "Angst vor Gefahren oder Gefahren durch Angst", Zürich 2005. Volker Grossmann ist seit 2005 Professor für Makroökonomie an der Universität Freiburg/Schweiz sowie Research Fellow am CESifo in München und dem Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn.

Seine aktuellen Forschungsgebiete umfassen die optimale Wachstums- und Industriepolitik mittels endogener Wachstumstheorie, die Auswirkungen internationaler Migration und den Zusammenhang zwischen kulturellem Hintergrund und Bildung.

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