Ethik: „Sie waren beide nackt und schämten sich nicht“

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Scham ist das Gefühl, sich eine Blöße zu geben. Ob mehr davon die Zivilisation fördert, ist umstritten. Jeder Mensch aber, der zu einer Gemeinschaft gehören will, fürchtet den Selbstwertverlust vor den anderen.

Das Schamgefühl hängt schon in der Bibel mit der Sünde zusammen. Adam und Eva essen, durch die Schlange verführt, von den verbotenen Früchten, vom Baum der moralischen Erkenntnis. „Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze“, steht im Buch Genesis nach der Übersetzung Martin Luthers. Ein Kapitel zuvor hat es im Paradies noch geheißen: „Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht.“

Im Althochdeutschen kann „scama“, Schamgefühl, auch die Bedeutung „Schande“ haben, es könnte sich von der indoeuropäischen Wurzel „*kam/*kem“ herleiten, die „bedecken“ oder „verhüllen“ bezeichnet. Wer sich schämt, fühlt sich bloßgestellt, man errötet, senkt den Blick, das Herz schlägt schneller. Je nach Gesellschaft können sehr unterschiedliche angebliche Verfehlungen diese Reaktionen auslösen. Divergent sind auch die Interpretationen, was Scham bewirkt. Fördert eine höhere Schwelle den „Prozess der Zivilisation“, wie das Norbert Elias 1939 vermutete, oder ist das nur ein Mythos, wie Hans Peter Duerr in „Nacktheit und Scham“ 1988 entgegenhielt?

Gabriele Taylor schrieb 1985 in „Pride, Shame and Guilt“ (Oxford), Scham sei das Gefühl des Selbstwertverlustes in den Augen anderer Menschen. Besonders scharf wird das empfunden, wenn diese auch tatsächlich anwesend sind und als Autorität angesehen werden. Im moralischen Bereich korreliert die Scham des Betroffenen mit der Empörung der anderen, heißt es in Ernst Tugenhats „Vorlesungen über Ethik“(1993). Das Individuum aber, das zur Gemeinschaft gehören will, entwickelt so ein Gewissen.

Bei John Rawls („Theorie der Gerechtigkeit“, 1975) hat moralische Scham, wer „diejenigen Tugenden, die sein Lebensplan fordert und fördern soll, als gute Eigenschaften seiner Persönlichkeit schätzt“. Man will etwas wert sein, vor sich selbst, vor Gott und der Welt. Wer will schon im Staub kriechen und Erde fressen, ein Leben lang?

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