Speedriding: Skifliegen am Rande des Gesetzes

Speedriding Skifliegen Rande Gesetzes
Speedriding Skifliegen Rande Gesetzes(c) AP (JONATHAN HAYWARD)
  • Drucken

Im Tiefflug rauschen Speedrider mehr als 100 Stundenkilometern den Berg hinab. Mit ihren wendigen Spezialsegeln überfliegen sie Felsen und kurven auf unberührten Hängen ins Tal.

Den Konturen des Berges entlang ins Tal zu fliegen – davon träumte er schon als Kind. Heute muss Daniel Kofler hellwach sein, wenn er mit seinem Minigleitschirm abhebt, den Hang im Tiefflug hinabsegelt und zwischen seinen Flugmanövern mit seinen Skiern frische Spuren in den unberührten Schnee zieht. Aus seinem Kindheitstraum ist Wirklichkeit geworden. Der Tiroler ist Speedrider und bewegt sich in den gefährlichen Sphären des Extremsports: Hindernisse wie meterhohe Kuppen und messerscharfe Felsen überfliegt der 36-Jährige, um an der nächstbesten weißen Stelle zu landen – und nach dem Touchdown wieder in die Luft zu gehen.

„Wir heben in die dritte Dimension ab“, sagt Kofler. Speedrider trotzen im freien Gelände der Gravitation und steuern mit ihrem Flugschirm Stellen an, an die sonst niemand hingelangt. „Es ist ein ganz starkes Gefühl von Freiheit“, schwärmt Birgit Standhartinger, Speedriding-Pilotin aus Innsbruck. Die Extremskiflieger verwenden für ihre Konturenflüge Schirme mit einer Fläche von rund zehn Quadratmetern. Im Vergleich zum Paragleiten sind Speedriding-Schirme wesentlich kleiner, dynamischer, schneller.

Mit 100 km/h den Berg hinab

Die Athleten sausen mit ihren wendigen Spezialsegeln bei tempogeladenen Kurvenmanövern mit mehr als 100 Stundenkilometern den Berg hinab. Die Minigleitschirme mit extrem kurzen Leinen ähneln von ihrer Profilform dem Fallschirm. Für Performance- und Materialeigenschaften dient der klassische Gleitschirm als Vorbild.

Als Begründer des Speedriding, das disziplinenübergreifend – mit Fuß- oder Skistart – Speedflying genannt wird, gilt der Franzose Francois Bon. Der Gleitschirmfluglehrer machte im Winter 2006 den Sport zunächst in seiner Heimat, dann in Europa bekannt. Bald nach Bons Speedflying-Promotiontour kamen die ersten Spezialgleitschirme auf den Markt.

In einer der Pionierstätten des Speedflying, in Les Arcs, treffen sich alle Jahre wieder die weltbesten Schirmakrobaten. Auch Daniel Kofler nahm beim Elitetreffen namens „Speedflying Pro“ teil. Einem bodenständigen Parallelslalom folgt bei diesem Event das – das Naturell dieses Sports eher treffende – Big-Mountain-Rennen. Hier gilt es, die richtige Linie zu finden und ihren Speedride mit Rolls und Loopings zu dekorieren. Beim Barrel Roll etwa drehen sich die Piloten samt Schirm seitwärts um die eigene Achse.

So grenzenlos das Freiheitsgefühl beim Speedriding sein mag, so winzig ist die Fehlertoleranz bei diesem Extremsport. „Es ist eine sehr komplexe Sportart, die schnelles Reaktionsvermögen erfordert“, sagt Florian Pankarter, Vorstand des deutsch-österreichischen Speedflying-Verbandes (DÖSV). Gefahren lauern beim Speedflying von vielen Seiten. Ein großes Risiko ist die Selbstüberschätzung der Piloten. Auch der „zu frühe Griff zu einem kleineren Fluggerät“ könne zu einer großen Gefahr werden, erklärt Pankarter. Die im Fachjargon als Downsizing bezeichnete Verwendung kleinerer Schirmgrößen, ermöglicht mehr Speed – birgt aber Tücken in sich. Im Geschwindigkeitsrausch würden sich Piloten bei geringerer Kappengröße allzu schnell zu sicher fühlen, sagt Pankarter. Auch vor Segelklappern ist man mit kleinerer Schirmfläche nicht gefeit: Dabei knickt der Flügel nach innen oder seitlich weg und kann seine Tragfähigkeit verlieren. Andere Beispiele verdeutlichen die scharfen Grenzen im Speedflying: Übersteuerung des Schirms, Pendeln bei falschem Gewichtseinsatz, Verlust der Leinenspannung – Fehler, die das Leben kosten können.

Tödlicher Unfall der Ikone

Der Schweizer Mathias Roten galt wie Francois Bon als Aushängeschild der Szene. 2008 starb Roten im Alter von 29 Jahren beim Test eines extrem kleinen Schirmmodells am Hockenhorngrat in der Nähe seines Heimatortes Thun. Die Ikone wurde tot zwischen Felsen gefunden. Rotens Unglück ist bei Weitem kein Einzelfall. Vor etwas mehr als einem Jahr starben in Österreich innerhalb weniger Wochen zwei heimische Speedrider. In Österreich, Deutschland und der Schweiz kamen von 2005 bis 2011 bei rund 600 aktiven Sportlern in dieser Sparte jährlich zwei bis drei Speedflying-Piloten ums Leben.

„Wir haben schon diskutiert, ob dieser Sport nicht zu gefährlich ist“, sagt Martin Szilagyi. Der Salzburger, der vom Paragleiten zum Konturenskifliegen kam, stellte nach dem tödlichen Unfall eines befreundeten Speedriders vieles infrage. Tragödien „schrecken schon ab“, gibt Szilagyi zu und betont, wie wichtig Sicherheitsmaßnahmen seien – wie etwa die genaue Geländeinspektion vor dem Ride und eine genügend lange Startbahn, um im Notfall noch abschwingen zu können.

Pilotenschein erforderlich

Abschüssig wie Steilhänge scheint im Moment auch die Gesetzeslage im Bereich Speedflying zu sein. Der Extremsport schwebt in Deutschland bis heute im luftleeren Rechtsraum. In Österreich ist Speedflying seit einer Bundesgesetznovelle des Verkehrsministeriums im Jahr 2010 im Bereich des Gleitschirmsports angesiedelt – mit der Folge, dass jeder Speedflyer eine Gleitschirmlizenz in Form eines Pilotenscheins benötigt. Aufgrund der hohen Anforderungen, denen die Athleten in ihren bodennahen Flügen gewachsen sein müssen, sei zusätzlich „eine spezielle Schulung wünschenswert“, sagt Helmut Sobek, Leiter der Flugschule Salzburg. Der 50-Jährige zählt zu den Speedflying-Pionieren und hat als Ausbilder die Erfahrung gemacht, dass „viele Speedrider schnell über ihre Grenzen hinausgehen wollen“.

Ob Newcomer oder Routiniers – laut Aeroclub, dem Fachverband für Flugsport, der auch als Zivilluftfahrtbehörde fungiert, bewegen sich Speedflyer in Österreich im Moment in einem gesetzlichen Graubereich. Die Luftverkehrsregeln (LVR) 2010 schreiben, mit Ausnahme des – gerade beim bodennahen Speedflying forcierten – Abflug- und Landevorgangs, eine gesetzliche Mindestflughöhe von 500 Fuß, also knapp über 152 Meter vor. Außerdem sei für Gleitschirmflüge ein „Mindestabstand von 50 Metern“ beim Überfliegen von Gebäuden, Liftanlagen oder Personen vorgesehen.

Während DÖSV-Vorstand Florian Pankarter in Österreich den Schritt zur legalen Ausübung des Speedriding als vollzogen ansieht, sagt Reinhard Flatz, Rechtsberater im Aeroclub,: „Speedriding passiert nicht in Übereinstimmung mit dem Gesetz.“ Aufgrund der verschwommenen Gesetzeslage in Sachen Mindestflughöhe hat Flatz im Auftrag des Aeroclubs nun das Verkehrsministerium um Rechtsklärung ersucht. Die Antwort schwebt noch in der Luft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.