Gostner: Geschichte aus Watte und Schnitzlpanier

Gostner Geschichte Watte Schnitzlpanier
Gostner Geschichte Watte Schnitzlpanier(c) APA (GUENTER R. ARTINGER)
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Er panierte und backte den Platz, an dem Kennedy ermordet wurde. Der Künstler Martin Gostner hat eine sehr spezielle Form gefunden, die Aura historischer Plätze einzufangen.

Es gibt sie tatsächlich, die österreichischen Künstler, die im Ausland Erfolg haben und die daheim kaum jemand kennt. So kann es einem mit Martin Gostner gehen, der 1987 ins Rheinland übersiedelte und dessen letzte Ausstellung in Wien über zehn Jahre zurückliegt (2001, Secession). Der Innsbrucker wird von einigen renommierten deutschen Galerien vertreten. Und hat in Düsseldorf eine Professur für Bildhauerei inne.

Dabei hat Gostners Laufbahn in Wien begonnen – als junger Geschichte-Student wollte er sich mit seinem Mitbewohner Tobias Moretti, damals noch Tobias Bloéb und Kompositions-Student, einen Aktkurs auf der Akademie der bildenden Künste ansehen. Der wurde aber abgesagt, worauf man in die Klasse von Max Weiler weiterzog – um dort in ein stundenlanges Gespräch mit dem Professor zu geraten.

Nur wenig später nahm Weiler Gostner in seine Klasse auf. Das Interesse für Geschichte aber blieb. „Es geht um die Rekapitulierung der Vergangenheit, um nicht vor der Gegenwart kapitulieren zu müssen“ – zu diesem Statement steht Gostner heute noch. Er habe allerdings eine Zeit gebraucht, bis Ende der 80er-Jahre, sagt er, bis er „eine Form in der Plastik gefunden hatte“, mit der er Geschichte und Kunst verbinden, mit der er „über das Illustrative hinausgehen“ konnte.

Genau diese Verbindung war nämlich lange tabu. Sofort dachte man an blutige Schlachtengemälde und andere fette Historienschinken. Gostner backte daraus ein Schnitzel. Was jetzt wie ein Witz klingt, ist ernst gemeint und sieht auch recht bedrohlich aus: 2007 fertigte Gostner ein Holzmodell des Platzes in Dallas, auf dem John F.Kennedy 1963 erschossen worden war. Und panierte es, überzog es mit einer Mischung aus Mehl, Ei, Brösel, und ging mit einem Föhn Zentimeter für Zentimeter darüber, bis sich die Panier sogar wellte. „Eigentlich ist es Eitempera, bis auf die Brösel, die muss man gegen Schimmel schützen.“ Übrig blieb ein rostbraunes Objekt mit intensiver Aura – so heißt es auch: „A Thick Aura over Dealey Plaza“.

Die dicke Aura der Heimat. Wie kommt man nur darauf, historische Aura mit Schnitzelpanier darzustellen? Dazu muss man wiederum in Gostners Vergangenheit gehen, zur Arbeit „Dicke Aura Heimat“ von 2001. Damals überzog er eine typische Wirtshausgarnitur mit der Panier. „Ich fragte mich damals, was übrig bleiben würde, wenn ich heimatliche Aura destillieren könnte – und das war Ei, Mehl, Brösel. Der Backvorgang ist dann wie das Verdunsten des Wassers beim Destillieren. Bedingt durch meine Herkunft ist die Panier dadurch für mich eine generelle Metapher für Aura geworden.“

Also auch anwendbar für andere geschichtsträchtige Orte, etwa JFK's Todesplatz. Der Mord an Kennedy war übrigens Gostners erster „Tod“, mit dem er als sechsjähriges Kind über die Medien konfroniert wurde – „ein prägendes Ereignis“. Und auch zu einem anderen historischen Ort, den er in seinem Werk darstellte, hat er eine persönliche Beziehung: Die 2001 von den Taliban zerstörten Buddhastatuen von Bamiyan wollte er bei einer Afghanistan-Reise 1978 besuchen. Aber die Situation war zu heikel dafür. „Dabei waren die Afghanen damals keineswegs so fundamentale Moslems. In Kabul gingen die meisten Frauen unverschleiert und in Miniröcken, die Fundamentalisierung ist erst durch den Krieg mit den Russen passiert.“

Viel weniger konkret wird Gostner in seiner Arbeit: Die Felswand mit den zerbombten Buddha-Statuen stellte er in einem neun Meter langen, drei Meter hohen Relief aus Watte dar. Ein Material, das er immer wieder verwendet und das er wegen seiner „visuellen assoziativen Kraft“ schätzt. Es könnten Wolken sein, Nebel, Rauch, jedenfalls kann sich der Blick nicht fokussieren – „auch eine Kamera mit Autofokus findet hier keine Schärfe. So würde ich das auch psychisch sehen, man kann sich nirgends festhalten“.

Ähnlich schweben die Bilder dieser Orte, an denen sich historische Traumata abspielten, in unserem Unterbewussten, sie sind dort fix abgespeichert, wenn auch nicht fix abrufbar. Doch wer kannte schon vor 2001 die Buddhastatuen von Bamiyan? „Die Taliban haben mit dem Versuch, die Buddhas auszulöschen, das Gegenteil erreicht. Ähnlich wie bei Kennedy. Wäre er nicht ermordet worden, er wäre einer unter vielen geworden.“

Ein Erker zwischen heute und einst. Der besondere Geist eines Ortes, der „Genius Loci“, beschäftigt Gostner heute mehr denn je: Er arbeitet sogar an einer ganzen neuen Kultur, der „Erkerkultur“. Angeregt durch den ersten Graffiti-Writer Joseph Kyselak, der in der Monarchie an unmöglichen Plätzen seinen Namen hinterließ, hinterlässt jetzt Gostner seine Spur – anonyme, überraschende, unvorhersehbare Objekte an Orten, die ihm wichtig sind. Etwa in den Dolomiten, an dem Ort, an dem sein Großvater starb. Gostner sieht diese geheimnisvollen Objekte durchaus in architektonischem Sinn als „Erker“, als Aussichtspunkt zwischen den Zeiten, als hybride Gebilde zwischen Gegenwart und Geschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2012)

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