"Libysche Bürgerkrieg hat Kettenreaktion ausgelöst"

A Libyan waves the Kingdom of Libya flag as he celebrates the first anniversary of the uprising that
A Libyan waves the Kingdom of Libya flag as he celebrates the first anniversary of the uprising that (c) REUTERS (Esam Omran Al-fetori)
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Wolfram Lacher von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik über die negativen Folgen des Gaddafi-Sturzes für eine ganze Region.

Die Presse: Sie veröffentlichen kürzlich eine Studie über die negativen Auswirkungen des Libyen-Konflikts auf die Sahel-Region. Ist der Putsch in Mali bereits eine direkte Folge?

Wolfram Lacher: Eine indirekte. Der libysche Bürgerkrieg hat eine Kettenreaktion im Sahel und in Nordafrika in Gang gesetzt. Der Ausbruch des neuen Konfliktes im Norden Malis war eine direkte Folge, vor allem wegen der Rückkehr von Kämpfern mit schweren Waffen aus Libyen. Der Putsch ist eine Reaktion auf diesen Konflikt. Er zeigt, was für unabsehbare Folgen der Bürgerkrieg in Libyen in der Region haben kann.

Wie glaubwürdig ist die Begründung der Putschisten, sie hätten aus Unzufriedenheit gehandelt?

Ich glaube, dass in der Armee tatsächliche große Unzufriedenheit über die Staatsführung und die militärische Führung herrscht, vor allem wegen mangelnder Ausstattung und Logistik. Eventuell gibt es auch eine tiefergehende Unzufriedenheit wegen der Korruption und der Komplizenschaft mit Kriminellen auf höherer Ebene des Militärs und der Staatsführung.

Bewegen wir uns auf eine ganze Region gescheiterter Staaten zu?

So drastisch würde ich das nicht sehen. Mali war in den vergangenen Jahren am stärksten betroffen von den negativen regionalen Entwicklungen, etwa der Ausweitung der organisierten Kriminalität - insbesondere Kokainschmuggel und Entführungen - und der wachsenden Aktivität von Al-Qaida im Islamischen Maghreb. Mali war auch der Staat, in dem die Spannungen im Norden zwischen verschiedenen Gruppen am stärksten waren. Dass die Folgen des libyschen Bürgerkrieges zu einem neuen Konflikt in Mali geführt haben, lag auch daran, dass es bereits zuvor Spannungen gab.


Sind Niger und Mauretanien ebenso gefährdet?

Natürlich sind das schwache Staaten, natürlich haben die Regierungen jeweils keine starke Kontrolle über den Norden ihres Landes. Wenn man sich aber Niger ansieht, dann waren die Voraussetzungen besser, die Auswirkungen des libyschen Bürgerkriegs abfangen zu können. Es gab im Norden Nigers weniger Spannungen innerhalb der Bevölkerungsgruppen, und der Regierung ist es gelungen, Rebellenführer einzubinden, auch diejenigen, die aus Libyen zurückgekehrt sind. Aber freilich können die Folgen des Bürgerkriegs in Libyen auch im Niger zu negativen Entwicklungen führen. Diese Woche etwa wurde mit Aghali Alambo die einst zentrale Figur der Rebellion 2007 wegen Verdachts auf Waffenschmuggel verhaftet. Er hatte in Libyen auf Seiten Gaddafis gekämpft und wurde nach seiner Rückkehr Berater des Parlamentspräsidenten. Er wurde also ins politische System eingebunden. Dass man diese zentrale Figur nun verhaftet hat, könnte bedeuten, dass das Arrangement auseinander bricht.

Was waren im Sahel neben dem Libyen-Konflikt die wichtigsten destabilisierenden Faktoren in den vergangenen Jahren?

Die Tuareg-Rebellionen sind ja kein neues Phänomen, sondern seit den 60er-Jahren periodisch wiedergekehrt. Was zusätzlich zu einer starken Verschlechterung der Sicherheitslage geführt hat, ist ein starkes Ansteigen von organisierter Kriminalität. Ein Phänomen dieses Anstiegs ist "Al Qaida im Islamischen Maghreb" (AQIM), die natürlich auch terroristischen, aber vor allem kriminellen Aktivitäten nachgeht. Diese Ausbreitung von Unsicherheit hat dazu geführt, dass der Tourismus in dieser Region praktisch völlig zusammengebrochen ist. Das war die wichtigste Einnahmequelle dort, und so gibt es auch für die Bevölkerung im Moment kaum wirtschaftliche Perspektiven. Dies wiederum stellt einen Anreiz dar, sich kriminellen Aktivitäten zuzuwenden. Andererseits hat die Ausbreitung der Organisierten Kriminalität insbesondere in Mali dazu geführt, dass es zunehmend Komplizenschaft mit hohen Militärs und Politikern gibt. Zusätzlich gibt es eine zunehmende Konkurrenz verschiedener Gruppen um die kriminellen Aktivitäten.

Welche Rolle spielen die Tuareg? Sie werden ja oft als Bindeglied zu Al-Qaida im islamischen Maghreb beschrieben.

Die neue Rebellion im Norden Malis wird von keiner einheitlichen Gruppe getragen. Es gibt zum einen die klar separatistische MNLA, die wiederum aus verschiedenen Gruppen besteht, darunter Rückkehrer aus Libyen. Daneben gibt es mit Ansar ed-Din eine weitere Gruppe, die von einer historisch wichtigen Rebellenfigur angeführt wird und eine islamistische Agenda verfolgt. Sie gibt vor, die Einführung der Scharia anzustreben, nicht aber die Loslösung von Mali. Es scheint, dass manche Mitglieder von AQIM Verwandtschaftsbeziehungen zu Ansar ed-Din haben und diese Gruppe unterstützen. Andere Teile von AQIM haben sich wiederum Milizen angeschlossen, die auf Seiten der Regierung kämpfen. Die Rebellion ist unter anderem auch ein Konflikt zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Norden Malis, darunter auch verschiedene Tuareg-Gruppen.

Kooperieren die Staaten der Region mittlerweile besser gegen al-Qaida und das Organisierte Verbrechen?

Man ist sich in der Region bewusst, dass man stärker kooperieren muss, das zeigen die häufigen Konferenzen und Initiativen. Es wurde auch ein regionales Kommandozentrum im Süden Algeriens eingerichtet, an dem Mauretanien, Mali und Niger beteiligt sind. Generell hat sich aber sehr wenig getan. Es gibt ein starkes Misstrauen zwischen Algerien und Mali, und Algerien ist auch sehr skeptisch gegenüber westlichen Initiativen,. Eine zunehmende Präsenz der USA, Frankreichs und künftig auch der EU sieht Algerien als Einmischung in seinen Einflussbereich.

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