Proteintechnik: Der Natur auf die Finger geschaut

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Ein findiger niederösterreichischer Unternehmer hat eine neuartige Proteintechnik entwickelt: Er verarbeitet Eiweißstoffe aus Pflanzen oder aus Milch zu technischen Werkstoffen mit interessanten Eigenschaften.

Johann Kiss war mehrere Jahrzehnte bei Autozuliefer-Unternehmen für Werkstoffe zuständig. „Ich bin mit herkömmlichen Werkstoffen oft an Kernproblemen verzweifelt“, erinnert er sich. Etwa an der Rezyklierbarkeit, an den Emissionen, die bei der Herstellung anfallen, oder am Brandverhalten. „Ich habe mich oft gefragt, wie ein Kollege vor 100 Jahren das Problem gelöst hätte.“ Seine Antwort: Dieser hätte die Probleme sicher ganz anders gelöst – und zwar nicht auf der Basis von Erdöl, sondern mit Naturstoffen. Sein Schluss daraus: „Das Erdöl hat bekanntes Wissen verdrängt. Wir sollten Naturstoffe besser und intelligenter nutzen – und zwar mit unseren heutigen Technologien.“

In den letzten Jahren tut sich dabei so Einiges. Ein Beispiel sind Obst- und Gemüsesackerl in manchen Supermärkten, die – wie aufmerksamen Konsumenten sicher schon aufgefallen ist – seit einigen Monaten anders knistern. Die meisten neuen Biowerkstoffe bestehen aus Stärke, manche auch aus Polymilchsäure. „Was derzeit noch nicht benutzt wird, sind Proteine“, so Kiss. Er hat in vierjähriger Arbeit nun erste Produkte entwickelt, die im Kern aus natürlichen Eiweißstoffen bestehen – und er hat sich vor fast genau einem Jahr mit dem Unternehmen K3P selbstständig gemacht, um diese Erfindung zu vermarkten.

Seine Idee einer „Proteintechnik“ beruht auf altbekannten Verfahren, die er neu kombiniert: Natürliche Proteine – etwa Milcheiweiß, Getreideproteine oder Abfälle aus der Lebensmittelindustrie – werden in einem alkalischen Aufschluss verarbeitet, daraus entsteht ein Bindemittel, das sehr interessante Eigenschaften hat, aber im Gegensatz zu chemisch-synthetischen Klebern biologisch abbaubar ist. Vermischt mit Zuschlagsstoffen wie Kreide, Sand oder Papierfasern ergibt das ein Material, das sich mit üblichen Kunststofftechnologien – etwa Spritzen, Formgießen oder Extrudieren – verarbeiten lässt.

Mit der Proteintechnik ist Kiss noch ziemlich allein auf dem Weltmarkt – was er auch durch die Hilfe des Austria Wirtschaftsservice (AWS) herausgefunden hat: Diese Organisation hat nicht nur Finanzhilfen für Jungunternehmer in ihrem Portfolio – etwa Seed-Financing für Unternehmensgründer –, sondern bietet auch Know-how bei der Verwertung von Ideen an. Im AWS-Programm „tecnet“ hat Kiss eine Marktrecherche durchgeführt und anschließend im Programm „discover.ip“ (gemeinsam mit dem Österreichischen Patentamt) nach der optimalen Form des Schutzes und der Nutzung der geistigen Eigentumsrechte gesucht. Mittlerweile hat Kiss bereits drei Patente auf seine Technologie angemeldet.

Das erste Produkt von K3P ist bereits serienreif. Es handelt sich dabei um rutschfeste Matten, die als Ladungssicherung in Lkw eingesetzt werden. Konkret ist es eine Mischung aus Kautschuk und Proteinen auf einer Papier- oder Pappe-Unterlage – die somit zu 100 Prozent aus biologischen Materialien besteht. Kiss stößt damit nach eigenen Angaben auf „großes Interesse“ bei potenziellen Kunden. Denn für derzeitige Gummimatten gebe es kein Recyclingsystem.

Im Laufe dieses Jahres soll eine zweite Produktlinie fertig werden: Bauteile für die Innenausstattung von Automobilen. Dort werden schon sehr viele Teile – zum Beispiel etwa Türverkleidungen – auf Zellstoffbasis eingesetzt. Diese werden aber derzeit mangels Alternativen chemisch mit Phenolharzen gebunden. „Mit Proteintechnik kann man die Innenausstattung 100 Prozent biologisch machen.“

Preislich kann die Proteintechnik sehr günstig sein – und zwar dann, wenn man die Proteine nicht in hoch gereinigter From einsetzt, sondern in natürlichem Zustand, erläutert Kiss. Allerdings sagt er im selben Atemzug: „Die Verarbeitung kann aber teuer werden, weil man das Wasser aus dem Proteinbindemittel bei der Produktion loswerden muss.“ Daher müsse genau überlegt werden, wo man die Proteintechnik einsetzt und wo nicht.

Es gibt zudem technische Einschränkungen: Die Proteine sind in alkalischem Milieu im Trockenen beständig, aber in feuchtheißer sowie in saurer Umgebung werden sie biologisch abgebaut. „Das muss man wissen“, so Kiss. In Autos beispielsweise kann es im Sommer zu tropischen Temperaturen bei gleichzeitig hoher Luftfeuchtigkeit kommen.

Dieser Nachteil kann aber gleichzeitig auch ein Vorteil sein, wenn es um das Ende der Lebensdauer der Produkte geht: Sobald das Material in Kontakt mit Boden gerät, kann der biologische Abbau beginnen – denn der Boden hat einen leicht sauren pH-Wert, und an Feuchtigkeit und Mikroorganismen herrscht dort meist kein Mangel.

Für weitere Anwendungen will Kiss eine andere interessante Eigenschaft der Proteinwerkstoffe nutzen: „Die Proteine wirken als Flammschutzmittel“, erläutert Kiss. In einem Forschungsprojekt, das durch einen „Innovations-Check“ der FFG zustande kam, wurden beispielsweise rezyklierte Polystyrolkügelchen mit Proteinen gebunden und dadurch feuerfest gemacht, berichtet er. „Im nächsten Schritt suche ich nun nach Industriepartnern dafür.“

Die flammhemmende Wirkung eröffnet weite Einsatzbereiche. Etwa die Verwendung der Proteine bei biologischen Dämmstoffen, die derzeit mit chemischen Mitteln brandbeständig gemacht werden müssen.

Proteine

Das Wort „Protein“ wurde 1838 vom schwedischen Forscher Jöns Jakob Berzelius geprägt – als Resultat der irrigen Annahme, dass alle Eiweißstoffe auf einer gemeinsamen „Grundsubstanz“ beruhen: „proteios“ bedeutet auf griechisch „grundlegend“, es leitet sich von „protos“ (Erster) ab.

In einem anderen Sinn erwies sich Berzelius' Annahme aber als richtig: Proteine sind die Basis allen Lebens. Strukturproteine sind ein wesentliches Gerüst für Zellen, und als Enzyme sorgen sie für die Regulation aller Lebensvorgänge.

In der Biotechnologie hat man sich bisher v.a. mit Enzymen beschäftigt. Andere Proteine waren bisher nicht im Fokus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2012)

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