Die Frau, die Missverständnisse mag

Frau Missverstaendnisse
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Petra Hammesfahr beherrscht die psychologische Krimiführung. In »Die Schuldlosen« legt sie viele falsche Fährten, die aber alle zu einem Schluss führen: Unschuldig sind nur die Kinder.

Vieles an Petra Hammesfahr führt in die Irre. Zum Beispiel ihr Name, der vermuten lässt, dass sie der mittlerweile unüberschaubaren skandinavischen Krimiriege angehört. Falsch: Hammesfahr gehört der mindestens ebenso zahlreichen Gruppe deutscher Krimiautoren an und lebt in Nordrhein-Westfalen. Missverstanden wurde Hammesfahr einst auch von den Verlagen, die der damals noch jungen Frau eine Absage nach der anderen erteilten. 159 waren es insgesamt. Bis einer ihr Potenzial erkannte – und recht behielt. Seit 1991, als „Die Frau, die Männer mochte“ erschien, hat Hammesfahr 30 Romane veröffentlicht, darunter „Der stille Herr Genardy“ und „Der gläserne Himmel“, zahlreiche Preise gewonnen (für „Die Sünderin“ und „Der Puppengräber“) und ist eine fixe Größe auf den deutschen Bestsellerlisten geworden.

Kein Wunder, dass Hammesfahrs Verhältnis zu Missverständnissen mit der Zeit ein konstruktives wurde. Was für eine Krimi-Schriftstellerin ja nicht unbedingt eine schlechte Sache ist. Ein gutes Beispiel dafür ist ihr jüngster Roman „Die Schuldlosen“, in dem sie den Leser durchgehend auf falsche Fährten führt und eine Überraschung nach der anderen präsentiert. Im Rückblick ist zwar klar, dass man so manches schon früher hätte erkennen können, aber mittendrin wird man mehr als einmal ein Opfer von Petra Hammesfahrs Gespür für Täuschungsmanöver.

Ertränkt wie eine rollige Katze. Stoff für Irrtümer bietet „Die Schuldlosen“ genug. Angelpunkt der Geschichte ist Alex Junggeburt, jüngster Spross der örtlichen Industriellenfamilie, der vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Alex saß für den Mord an einer jungen Frau im Gefängnis, die er im Vollrausch „wie eine rollige Katze“ ertränkt haben soll. Erinnern kann er sich daran zwar nicht, gewundert hat es aber keinen in Garsdorf – galt Alex doch schon vor dem Mord als der „wilde Hund“ im Ort, mit zu viel Geld, zu wenig Skrupel und einer etwas überentwickelten Libido. Den Strick drehte ihm letztendlich die Aussage der Kaffeebudenbesitzerin Heike Jentsch, der er am Tage seiner Verurteilung umgehend Rache schwor. Doch sie scheint ihn bei seiner Rückkehr ins Dorf nicht mehr besonders zu interessieren. Viel weniger zumindest als Saskia, ein siebenjähriges Mädchen, das im Kreise der Familie Jentsch aufwächst.

Die Rückkehr des „Bösen“ wühlt in Garsdorf so einiges auf. In Zeitsprüngen rollt Hammesfahr die Geschichte mehrerer Familien auf, denen ein Thema gemeinsam ist: das verkorkste Verhältnis zu ihren Kindern. Wie zum Beispiel die Familie Welter. Als Franziska Welter ins Krankenhaus ging, um ihr zweites Kind auf die Welt zu bringen, ließ sie ihre eineinhalb Jahre alte Tochter Marie bei ihren Schwiegereltern zurück. Es gab einen Unfall – und eine Mutter, die es ihrer zweiten Tochter nie verzieh, dass sie wegen ihrer Geburt nicht für ihre Erstgeborene da sein konnte. Die Rechnung für dieses Unglück bezahlen alle Beteiligten bis zu dem Tag, als Alex aus der Haft entlassen wird – auch die, die daran völlig schuldlos waren.

Alex selbst erging es in seiner Kindheit nicht viel besser. Auch er musste den Lückenbüßer für ein zu früh verstorbenes Kind spielen. Andere Kinder wiederum werden von ihrer Umwelt kaum wahrgenommen, wie Saskia, die auch nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwächst und besonders anfällig ist für das Versprechen von Liebe – selbst wenn es von einem Mann kommt, den sie davor noch nie in ihrem Leben gesehen hat.


Kleine Stadt, große Lügen. Aus dieser Mischung aus Familiengeheimnissen und Lügen mit Kleinstadtmief destilliert Hammesfahr einen psychologischen Krimi, der sich schwer aus der Hand legen lässt. Nicht zuletzt deshalb, weil es ihr gelingt, beim Leser das ungute Kribbeln zu erzeugen, dass den einzig Schuldlosen in dieser Geschichte, den Kindern, ein böses Schicksal bevorstehen könnte. Aber das könnte natürlich auch Täuschung sein. Wie so vieles bei Petra Hammesfahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2012)

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