Die Künstler der Steinzeit nahmen das Kino vorweg

(c) Kopie A. Rouusot
  • Drucken

Urgeschichte. Nicht nur die Bilder an den Höhlenwänden sind voller Bewegung. Es gab auch früh schon ein optisches Spielzeug, ein Thaumatrop. Es wurde erst 1827 wieder erfunden – und wurde ein Ahn der Filmkamera.

„Nach Altamira ist alles Dekadenz.“ So hoch soll Picasso seine Kollegen geschätzt haben, die vor 15.000 Jahren (und anderswo früher) Höhlenwände bemalten. Gesichert ist die Anekdote nicht, aber sie trifft die Eleganz der Reduktion, in der alles steckt, Naturalismus, Allegorie – und Bewegung. Hinter ihr ist Marc Azéma her, Urgeschichtler in Toulouse und Filmemacher, sein doppelt geschulter Blick sieht regelrechte Actionszenen an den Wänden, etwa an einer in der Höhle von Chauvet. Dort gibt es ein zehn Meter langes Bild mit vielen Tieren, es erzählt eine Jagd: In der linken Hälfte schleichen sich Löwen an Bisons an, in der rechten attackieren sie.

Ähnliche Szenen gibt es andernorts, und oft wurde die Dynamik mit optischen Tricks verstärkt, entweder mit Superimposition – in der etwa die Füße eines Tiers in verschiedenen Stellungen nebeneinander gemalt wurden wie später bei den Futuristen – oder mit Juxtaposition. Dabei wurde ein und das gleiche Tier in verschiedenen Bewegungsphasen mehrfach nebeneinander dargestellt.

Dasselbe Prinzip bemerkte Azéma 1991 an einer Steinscheibe in der Höhle von Isturiz. Auf einer Seite ist ein aufrecht stehendes, aber verwundetes Rentier eingraviert, es hat einen Pfeil in der Flanke. Auf der anderen Seite liegt ein Rentier tot am Boden. Wenn man die Scheibe rasch dreht, verschmelzen beide Bilder, das Tier wird getroffen und fällt um. Das ist eine Augentäuschung, die erst 1827 wieder entdeckt und als „Thaumatrop“ – Wunderscheibe – vermarktet wurde: Man bemalte die Vorder- und Hinterseite von Pappscheiben mit unterschiedlichen Motiven – etwa einem Vogel und einem Käfig – und befestigte am Rand Fäden, die ein rasches Drehen der Scheibe ermöglichten. Schon saß der Vogel im Käfig.

Aber die Erfindung ist steinalt, Azéma zeigt es mit der Replik einer Knochenscheibe, die 1868 in Laugerie-Basse gefunden wurde (Antiquity, 86, S. 316). Vorne ist ein lebender Gamsbock, hinten ein toter. In der Mitte ist ein Loch, deshalb wurde der Fund lange als Knopf interpretiert. Aber Azéma hat ihn nachgebaut und durch das Loch einen Faden so geführt, dass er das Ganze in rasche Rotation bringen konnte. Und schon lief der Film: „Die Steinzeitkünstler haben ein optisches Spielzeug erfunden, dessen Prinzip im Thaumatrop wieder kam. Und das war ein direkter Ahnherr der Filmkamera.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.