Ägypten: Der erste gewählte Herrscher seit 7000 Jahren

(c) REUTERS (SUHAIB SALEM)
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Wenn am Mittwoch der erste Durchgang der Präsidentenwahl startet, soll das den Anfang vom Ende der Militärherrschaft markieren. Von den Islamisten sind mittlerweile viele Wähler enttäuscht.

Kairo/Schobek. Einst war die Villa im Norden Kairos das Gästehaus des verstorbenen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat. Aber das ist nicht der Grund, warum sie heute mit Stacheldraht abgesichert ist, ein gepanzerter Truppentransporter den Eingang versperrt und die Präsidialgarde die Bewachung übernommen hat. Der Grund ist: Hier befindet sich das Herzstück der ägyptischen Präsidentschaftswahl – die oberste Wahlbehörde.

Drinnen im Krisenstab sind alle Vorbereitungen abgeschlossen, behauptet Sharif Fahmi. Die Richter, die die 13.000 Wahllokale überwachen sollen, sind aufgeteilt. Die mehreren hundert Beschwerden im Vorfeld, von Menschen, die ihren Namen nicht im Wählerverzeichnis fanden, sind abgearbeitet. Viele hatten sich schriftlich beschwert, manche seien sogar persönlich gekommen: „Das zeigt auch, dass die Menschen die Wahl ernst nehmen. Die melden sich bei uns, weil sie das Gefühl haben, dass sich jemand tatsächlich um ihr Anliegen kümmert.“

Auch der prominente ägyptische Politologe Hassan Nafaa meint, dass die Bedeutung dieser Wahl nicht überschätzt werden könne: „Das erste Mal in ihrer 7000-jährigen Geschichte haben die Ägypter die Wahl, ihre politische Führung frei zu bestimmen“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. Zum ersten Mal wisse man nicht schon im Vorfeld, wie der nächste Präsident heiße.

„Alte Zeit mit neuen Gesichtern“

„Wir haben aussichtsreiche Kandidaten aus zwei Lagern: dem islamistischen und dem des alten Regimes“, beschreibt der Politologe die Ausgangssituation: „Gewinnt der Muslimbruder Mohammed Mursi, dann kontrollieren die Islamisten alle Institutionen. Das wäre sehr polarisierend.“ Gewinne dagegen jemand aus dem alten System wie Amr Moussa, der ehemalige Chef der Arabischen Liga und einstige Außenminister Mubaraks, oder Ahmed Schafiq, dessen letzter Premier, „dann haben wir die alte Zeit mit neuen Gesichtern wieder“, glaubt er.

Abdel Monem Abul Futuh wäre eine dritte Option. Futuh war vergangenes Jahr aus der Muslimbruderschaft ausgeschlossen worden und hat sich als Präsidentschaftskandidat selbstständig gemacht. Er gilt auch als Mann, der von Anfang an auf dem Tahrir-Platz aktiv mitgearbeitet hat. Aber auch er ist umstritten: Für viele Ägypter ist er zu liberal, für andere ein verkappter Muslimbruder.

Bis zum Schluss sind viele unentschlossen, wem sie ihre Stimme geben sollen. Aber es gab in Kairo in den vergangenen Wochen kaum ein anderes Gesprächsthema als „Wen wählst du, und warum?“.

Probleme nicht über Nacht lösbar

Dabei scheint das Image der Islamisten seit der Parlamentswahl etwas angekratzt zu sein, selbst auf dem Land, wo die Menschen damals mehrheitlich Salafisten und Muslimbrüdern ihre Stimme gegeben haben. Das zeigt sich recht bildlich am Ortseingang von Schobek, einem 8000-Seelen-Dorf südlich von Kairo. Die Wahlplakate des Muslimbruders Mursi sind heruntergerissen. Am Straßenrand in einer kleinen, aus Schilf und Palmwedeln geflochtenen Hütte sitzt eine Gruppe Bauern und trinkt Tee. Sie alle hatten bei der Parlamentswahl Salafisten oder Muslimbrüder gewählt, erzählen sie.

Und auch in der Enttäuschung, dass diese im Parlament nur reden, aber nichts getan haben, um die Lebensumstände in den Dörfern zu verbessern, sind sie sich einig. So hätten die Islamisten versprochen, den zugemüllten Bewässerungskanal, der durch das Dorf fließt, ausbaggern zu lassen. Dass dort noch überhaupt nichts geschehen ist, wird mit einem Blick deutlich. Direkt neben einem über die Straße gespannten Transparent des Muslimbruder-Kandidaten Mursi stinkt der Kanal weiter in den ägyptischen Mittagshimmel.

Energisch tritt ein Mann hinzu und fragt, ob dieser Journalist hier etwa gekommen sei, um das Image Ägyptens zu ruinieren. Augenzwinkernd erklärt einer der Bauern, dass es sich bei dem „Eindringling“ um einen örtlichen Kader der Muslimbrüder handle. „Nach 30 Jahren Diktatur kann man doch nicht erwarten, dass die Muslimbrüder mit ihrer Parlamentsmehrheit über Nacht alle Probleme lösen, wirft dieser ein. Das wäre so, als ob man nach fünf Minuten ein Fußballteam auswechsle, weil es noch kein Tor geschossen habe, fügt er hinzu.

„Islamisten haben nichts getan“

Dann bittet Dorfvorsteher Ismail El-Sanouti in seinem Haus zur Audienz: „Die Islamisten haben bisher überhaupt nichts gemacht“, wettert er. Die Dorfbewohner prügelten sich um Diesel und Trinkwasser, der Kanal verbreite weiter Krankheiten, beschwert er sich. Er werde Moussa wählen.

Am Rand des Dorfes steht Ali Farag vor seiner Dieselpumpe, die eigentlich das Wasser aus dem Kanal auf seine Felder leiten soll. Im Moment steht sie still, weil er keinen Dieselkraftstoff hat. Den gibt es seit Monaten nur auf dem Schwarzmarkt zum doppelten Preis, erzählt er. Er habe sich noch nicht entschlossen, welchem Präsidenten er seine Stimme geben wird, aber sicherlich nicht mehr einem Islamisten, kündigt er an.

Wie immer die Wahl ausgeht, sagt der Politologe Nafaa, alle seien sich bewusst, dass der zukünftige Präsident das Herzstück des politischen Lebens der nächsten Jahre sein werde.

Auf einen Blick. Die wichtigsten Kandidaten der Präsidentenwahl.

Amr Moussa war 2001 bis 2011 Chef der Arabischen Liga. Zuvor diente er Hosni Mubarak als Außenminister.

Abdel Monem Abul Futuh wurde im Herbst aus der Muslimbruderschaft geworfen. Er ist bei der Jugend beliebt.

Ahmed Schafiq war Premierminister in den letzten Tagen des Mubarak-Regimes. Er war Luftwaffenchef.

Mohammed Mursi ist der Kandidat der Muslimbruderschaft und Chef von deren im Herbst neu gegründeter Partei.

Hamdeen Sabahi ist ein säkularer Kandidat und war schon vor der Revolution 2011 ein Oppositionsführer. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2012)

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