Grass, der Grubenhund

Das Griechenland-Gedicht sei gar nicht von Grass, behauptete die „FAZ“.

Der Grubenhund hat eine lange Tradition: Ursprünglich wurden so Leserbriefe genannt, die geschickt getarnt kompletten Unsinn enthielten. Die Redaktion, die solches druckte, war also reingefallen. Später bedienten sich vor allem Autoren des Grubenhundes: Sie verfassten absichtlich missratene Romane (wie Stefanie Holzer und Walter Klier) oder Poesie (Ferdinand Schmatz und Franz Josef Czernin) und freuten sich diebisch, wenn diese Elaborate nicht nur gedruckt, sondern auch noch in höchsten Tönen gelobt wurden. „Diesen Dreck mögt ihr also“, riefen sie dann den Kritikern und Lektoren zu.

Gleich ein doppelter Grubenhund ist jetzt Volker Weidemann, dem Chef des Sonntags-Feuilletons der „Frankfurter Allgemeinen“, geglückt: Er behauptete in einem Artikel, die „Süddeutsche Zeitung“ sei einer Aktion des Satiremagazins „Titanic“ zum Opfer gefallen! Das Gedicht über Griechenland – unter dem Titel „Europas Schande“ am Samstag in der „SZ“ erschienen – stamme nämlich gar nicht aus der Feder von Günter Grass! Vielmehr hätten die „Titanic“-Redakteure „in aller Eile zusammengeschrieben, was Google zu den Begriffen Griechen, Antike und Europa so hergibt, haben dann jeweils die Satzstellung leicht verschoben, die unsinnigsten Genitivkonstruktionen aneinandergereiht und fertig“.


Die Meldung verbreitete sich in Windeseile im Netz: „Das neue Grass-Gedicht ist ein Fake!“ Erst als „SZ“-Online-Chef Plöchinger entnervt auf einen Mitschnitt verlinkte, auf dem Grass höchstselbst sein Gedicht vorträgt, war der Spuk vorbei. Sorry: Günter Grass schreibt wirklich so.

Für das Ansehen der Lyrik in diesen Breiten hätten wir uns gewünscht, es wäre doch die „Titanic“ gewesen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2012)

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