Der Shootingstar der Linken, Alexis Tsipras, hat sein Regierungsprogramm für den Fall eines Wahl- siegs vorgestellt. Dabei bleibt er seinem radikalen Kurs treu: dem Ausstieg aus dem mit der EU verhandelten Pakt.
Athen/C.g. Deutlicher hätte er es nicht sagen können: „Erster Akt der Regierung und des neu konstituierten Parlaments wird die Annullierung des Memorandums und der entsprechenden Vollzugsgesetze sein.“ Gewinnt das Linksbündnis von Alexis Tsipras die Parlamentswahlen vom 17. Juni, wird es also die Sparpakete, genannt Memoranden, die das bankrotte Griechenland mit ihren europäischen Gläubigern ausgehandelt hat, einseitig aufkündigen und die zugrunde liegenden Kreditverträge neu verhandeln.
Der Shootingstar der griechischen Linken blieb seinem Erfolgsrezept auch bei der Präsentation des Regierungsprogramms seiner Partei am gestrigen Freitag treu. Das Dilemma „Drachme oder Euro“, das hingegen seine Gegner in Griechenland und in Europa ins Spiel bringen, sieht er nicht. Mit diesen Slogans wolle man lediglich die griechischen Wähler unter Druck setzen, meint er.
Für den Fall, dass Griechenland tatsächlich aus der Eurozone austritt, richtete Weltbank-Präsident Robert Zoellick eine Warnung an die europäischen Staaten. Denn dann müssten sich die europäischen Staaten auf Finanzhilfen für Banken vorbereiten. Stützten die Eurostaaten nicht entschlossen die Finanzbranche, könnte die daraus resultierende Krise den Kontinent zu einer wirtschaftlichen Gefahrenzone machen, schrieb Zoellick in einem Kommentar in der „Financial Times“.
Syriza will Neuverhandlungen
Die radikale Linie gegen das Sparen hat die ehemalige Kleinpartei Syriza zu einer potenziellen Regierungspartei gemacht. Bei den Wahlen vom 6. Mai ist die Partei mit 16,6 Prozent der Stimmen zweitstärkste Partei im Parlament geworden. Inzwischen werden ihr bei den Wiederholungswahlen vom 17. Juni laut jüngsten Meinungsumfragen bereits zwischen 21 und 31 Prozent zugetraut. Der neuerliche Urnengang ist notwendig geworden, weil keine mehrheitsfähige Regierung gebildet werden konnte.
Anstelle des Memorandums wird laut Regierungsprogramm ein „Nationaler Aufbauplan“ treten, der die Wirtschaft stufenweise zurück auf Wachstumskurs führen soll. Weitere Programmpunkte von Syriza: Neuverhandlung oder Aussetzung der Zinszahlungen an die Gläubiger, Abschaffung der neuen Sondersteuern und der Gesetze betreffend Lohn- und Pensionskürzungen. Einnahmen im Ausmaß von vier Prozent des BIPs will man durch „Besteuerung des Reichtums“ erzielen.
Besonders freundliche Worte fand Tsipras bei der Präsentation für die öffentliche Verwaltung. Kein Wunder: Vor allem Beamte, erbost von Lohnkürzungen und Frühpensionierungen und beunruhigt durch die von der EU geforderten Entlassungen im öffentlichen Dienst, haben sich bei den Wahlen vom 6. Mai massenhaft Syriza zugewandt.
Sogar die allmächtigen Gewerkschafter der staatlichen Stromgesellschaft haben ihrer Stammpartei, der sozialistischen Pasok, den Rücken gekehrt und und sich der neuen linken Macht angeschlossen. Denn diese scheint bereit, ihre Privilegien eisern zu verteidigen.
Konservative als „sichere Lösung“
Schon am Donnerstagabend hatte Konservativen-Chef Antonis Samaras sein Wirtschaftsprogramm vorgestellt. Seine Nea Dimokratia liefert sich laut Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Syriza und hat gute Chancen zu siegen – ein Ergebnis der zunehmenden Polarisierung zwischen Memorandum-Befürwortern und Gegnern. Im Fernduell mit seinem Gegenspieler präsentierte sich Samaras als „sichere“ Lösung. Tsipras setze das „Schicksal“ seines Landes aufs Spiel, weil er die Sparverträge annullieren will.
Wer bezahlt offene Rechnungen?
Und doch sprach auch Samaras vor allem davon, was er an den Sparpaketen ändern will – nicht weniger als zehn Punkte. Unter anderen will er die Arbeitslosenunterstützung auf zwei Jahre ausdehnen, Mindestpensionen anheben, Steuern senken und vor allem die anstehenden Entlassungen durch dreijährige Weiterzahlung des Grundgehaltes abfedern.
Sowohl Tsipras als auch Samaras bleiben allerdings Antworten schuldig: Wer soll die offenen Rechnungen für ihre geforderten Sozialpakete bezahlen wenn nicht die europäischen Partner, deren Sparauflagen sie bekämpfen?
Engpässe in Spitälern
Und während die Wahlkämpfer in ihren Regierungsprogrammen Budgetmittel umverteilen, verfügen die griechischen Kassen nicht mehr über die Rücklagen, Anschaffungen für die Spitäler zu bezahlen. Die griechischen Apotheker, die dieser Tage Steuervorschreibungen für Gelder erhalten, die sie von ihrem Kunden, dem Staat, nie erhalten haben, haben einen Lieferstopp an die Krankenhäuser verfügt. Die Folge sind ernste Versorgungsengpässe an Medikamenten und chaotische Zustände in den griechischen Operationssälen.
Auf einen Blick
Alexis Tsipras, Chef der griechischen Partei Syriza, hat einen „Nationalen Aufbauplan“ ausgearbeitet, der die Wirtschaft auf Wachstumskurs führen soll. Weiters will er die Neuverhandlung oder Aussetzung der Zinszahlungen an die Gläubiger, die Abschaffung neuer Sondersteuern und der Gesetze betreffend Lohn- und Pensionskürzungen. Hohe Einkommen sollen besteuert werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2012)