Interview: Veit Sorger: "Nicht auf den ÖGB Rücksicht nehmen"

Interview. Industriellen-Chef Veit Sorger über ÖGB, Sozialpartnerschaft und die Wahlen.

Die Presse: Herr Präsident, Sie meinten vor kurzem, ein starker ÖGB sichere unsere Zukunft. Hängt die Zukunft des Landes davon ab, ob der Gewerkschaftsbund eine Bank verjubelt oder sie gut führt?

Veit Sorger: Da haben Sie eine Zeile aus meinem Kommentar herausgenommen. Für unsere Zukunft ist es aber entscheidend, kalkulierbare Arbeitnehmervertreter zu haben. Ungeachtet dessen muss der ÖGB jetzt aber auch etwas liefern. Wir würden es begrüßen, wenn der ÖGB berücksichtigt, dass seine wahre Expertise bei den Betriebsräten liegt. Das sind jene Leute, die die Betriebe teilweise besser kennen als manche Manager.

Soll heißen: Lohnverhandlungen weg von den Sozialpartnern und hin zu den Betrieben?

Sorger: Der ÖGB ist gut beraten, Lohnverhandlungen stärker auf die Betriebsebene zu verlagern. Die Betriebsräte sind ohnehin in der Gewerkschaft organisiert. Deshalb brauchen wir ja auch einen starken ÖGB, damit er seine Zusagen auch bei seinen eigenen Leute durchsetzen kann.

Die Wirtschaftskammer will, dass die Löhne künftig automatisch um die Inflationsrate steigen, weitere Lohnerhöhungen aber vom Ertrag des jeweiligen Betriebs abhängen.

Sorger: Dieses Modell ist noch nicht ausgegoren. Deshalb gibt es dazu nichts zu kommentieren. Wir wollen eine stärkere Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Situation der Betriebe.

Wie funktioniert das in Betrieben, in denen es keine Betriebsräte gibt?

Sorger: Das ist der Punkt. Wir sind mit unseren Überlegungen eben noch nicht am Ende.

Warum sollte der ÖGB ausgerechnet in der aktuellen Situation die Lohnverhandlungen aus der Hand geben und sich so weiter schwächen?

Sorger: Wir wollen die Gewerkschaften keineswegs ausnutzen. Wir können aber nicht akzeptieren, dass sich die Gewerkschaft nur mit sich selbst beschäftigt und eine Menge nicht gelöster Problemen ungelöst bleibt. Da können wir nicht auf den Zustand des ÖGB Rücksicht nehmen.

Sondern?

Sorger: Wir müssen unser Tagesgeschäft erledigen. Etwa die Arbeitszeitflexibilisierung voranzutreiben und neue Lohnmodelle zu präsentieren. Priorität hat für uns die Flexibilisierung der Arbeitszeit.

Diese Flexibilisierung fordern Sie mittlerweile seit zwei Jahren. . .

Sorger: Wenn Sie mir vorwerfen, hier nicht viel weitergebracht zu haben, muss ich leider sagen: Ja, das stimmt. Es ist aber auch nicht so einfach, wenn von allen Seiten die Unterstützung fehlt. Allein schaffen wir das nicht.

Vielleicht, weil solche Fragen anderswo Regierungen entscheiden und nicht die Sozialpartner?

Sorger: Österreich stünde heute ohne dem Modell der Sozialpartnerschaft nicht so gut da. Auch, wenn wir der Sozialpartnerschaft nicht so verbunden sind wie die Wirtschaftskammer, ist sie trotzdem ein Erfolgsmodell. Und auf Betriebsebene ist in Sachen Flexibilisierung der Arbeitszeit viel passiert, da haben sich die Gewerkschafter stark bewegt. Gesetzlich wird sich vor der Wahl aber nicht mehr viel tun. Hoffentlich danach.

Welche Regierungskonstellation käme der Industrie in dieser Frage denn besonders gelegen?

Sorger: Das hängt nicht so sehr von der Regierungsform ab. Wir haben hier keine Präferenzen. Die "Presse" sagt ja auch nicht, welche Koalition ihr am liebsten wäre.

Wir sind auch keine Interessenvertretung wie die IV - deren Mitglieder in dieser Frage übrigens bestimmt eine klare Meinung haben.

Sorger: Dann lassen Sie mich so antworten: In den vergangenen sechs Jahren hat Österreich in Summe viel erreicht. Jeder weitere Fortschritt auf diesem Kurs ist zu begrüßen. Wir geben aber sicher keine Wahlempfehlungen ab.

Sind die Grünen aus Sicht der Industrie regierungsfähig?

Sorger: Alle im Parlament vertretenen Parteien sind regierungsfähig. Es gibt mittlerweile Ansichten der Grünen, die sich durchaus mit unseren Positionen decken. Etwa das Modell der Punkte-Zuwanderung (qualifizierte Zuwanderer sollen bevorzugt aufgenommen werden, Anm.) oder die Europa-Politik.

Die Industriellen-Vereinigung lobt Grüne und Sozialpartner. Vielleicht sind Sie auch für die Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft bei der Wirtschaftskammer. . .

Sorger: Eine Abschaffung der Pflicht-Mitgliedschaft ist für uns tatsächlich nicht prioritär. Sondern die Senkung der Kosten. Die Länderorganisationen werden zum Beispiel so nicht bestehen können. Da könnten beispielsweise "Back-Offices" (Verwaltungseinheiten, Anm.) von Länderorganisationen zusammengelegt werden. Wir machen das ja auch.

Das hieße auch Personalabbau.

Sorger: Nicht notwendigerweise. Üblicherweise wird das ja so geregelt, dass natürliche Abgänge nicht nachbesetzt werden.

Wie hoch wäre das Sparpotenzial?

Sorger: Wir sind ja erst am Anfang der Diskussion, das ist schwer abzusehen.

Wie viele Landesorganisationen soll die Kammer denn haben?

Sorger: Es kann ruhig jedes Bundesland seine Landeskammer haben. Es muss aber nicht jede Landesorganisation ihre eigene Buchhaltung oder einen eigenen Umweltbeauftragten haben. In der Bundeswirtschaftskammer ist viel passiert, bei den Ländern nicht. In der Arbeiterkammer hat man überhaupt nichts gesehen.

Die kritisiert, dass Gewinne der Betriebe stärker steigen als Löhne. Der Industrie waren wiederum die Lohnabschlüsse zu hoch. Das geht schwer zusammen.

Sorger: Wer hat denn die Gewinne gesteigert? Es waren jene, die mit hohem Risiko in neue Märkte gegangen sind. Jene, die auf das österreichische Wachstum angewiesen sind, weisen eine weit schwächere Gewinnentwicklung auf. Die Arbeiterkammer weiß doch ganz genau, welche Gewinne aus dem Inland kommen und welche nicht.

Der Umgängliche

Karriere machte der 1942 in Graz geborene Veit Sorger in der Papierindustrie. Seit 2004 bekleidet er das Amt des Präsidenten der Industriellenvereinigung. Aus Sicht der Mitglieder macht er seine Sache gut. Obwohl Sorger mit seinem Herzensanliegen - der Flexibilisierung der Arbeitszeit - nicht gerade viel Erfolg hatte. Österreichs Industrielle schätzen den geschmeidigen, konsensorientierten Auftritt ihres Präsidenten - und üben sich in Geduld.


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