Konzertfilm

Denken und Tanzen? Bei David Byrne ist das kein Widerspruch

David Byrne's American Utopia
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Spike Lees David-Byrne-Musical „American Utopia“ punktet mit raffinierter Schlichtheit.

Auf einer Theaterbühne stehend erklärt David Byrne die Areale des menschlichen Gehirns. Er schwärmt von den neuronalen Verbindungen, die im Laufe des Lebens weniger werden, der Effizienz und Charakterbildung wegen. Und fragt: „Are babies smarter than we are?“

In seiner Karriere hat Byrne stets darauf geachtet, dass seine Klugheiten in kinetische Energie verwandelt werden können. Seine Band Talking Heads entlehnte sich die Beats dafür recht frei aus der Weltmusik. Die Spannung zwischen leichtem Rhythmus und schweren Gedanken prägt auch Byrnes Spätwerk. „American Utopia“, das aktuelle Album, stammt von 2018. Es wurde zum Auslöser einer minimalistischen Bühnenshow, bei der elf Musiker mit tragbarem Equipment drahtlos wie eine Dance Company agierten. Choreografiert hat das Annie-B Parson, deren Geburtsdatum auf Wikipedia charmant mit „im 20. Jahrhundert“ angegeben wird. Diese Ära wird in Spike Lees Verfilmung wieder lebendig.

In diesem Musikfilm wird viel gefragt

Der Regisseur punktet mit raffinierter Schlichtheit. Eine Totale von oben, eine Spezialität Lees, darf nicht fehlen. Kollege Jonathan Demme verfilmte schon 1984 ein Konzert der Talking Heads. Damals trug Byrne einen übergroßen Anzug, der an das japanische Nō-Theater denken ließ. Tafeln mit Fragezeichen wurden eingeblendet. Viel gefragt wird auch im aktuellen Film. „Is this meant ironically? Is this a joke?” Byrne erklärt: „To ask a question is to begin the process of looking for an answer.“

Genau das tut er während seiner Performance. Er wirbt für Humanismus, Empathie und Wählengehen. Der Kopf brummt, Becken und Beine wackeln. Byrne schwärmt von der Lautpoesie der Dadaisten und singt das von Hugo Ball inspirierte „I Zimbra“. Ein anderes Highlight: seine leicht nervöse Lesart von Janelle Monaes „Hell You Talmbout“, in dem afroamerikanische Opfer rassistischer Polizeigewalt genannt werden. „We all have to change. I also need to change”, sagt er. Es ist der einzige Moment, wo der gute Mann ein wenig prätentiös wirkt. Das Konzert endet mit den verschwitzten Menschen im Saal. Dann verlässt Byrne das Theater mit dem Fahrrad. Das letzte Bild bleibt hängen: „Utopia starts with you!“ Ab Freitag im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2021)

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