Le nozze di Figaro: Ohne Netrebko, dennoch besser

(c) APA (Hans-Klaus Techt)
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Salzburger Festspiele. Kaum wiederzuerkennen: "Le nozze di Figaro" ohne die Starsängerin und Harnoncourt.

Gefühle können die Welt Kopf stehen lassen: Das führt uns Bühnenbildner Christian Schmidt vor Augen, wenn er das Stiegenhaus, in dem der Salzburger „Figaro“ spielt, im letzten Akt sowohl aufrecht als auch um 180Grad gedreht zeigt, als wär's ein Vexierbild von M.C. Escher. Doch die ganze Aufführung steht gleichsam Kopf: Das ist das Verblüffende an dieser Neueinstudierung der zum Mozartjahr 2006 entstandenen Inszenierung, die durch TV-Übertragung und DVD-Veröffentlichung breiteste Bekanntheit erlangt hat.

Regisseur Claus Guth hat wenig geändert (die Arien von Marcellina und Basilio im letzten Akt sind nun gestrichen) – und doch ist die Aufführung kaum wiederzuerkennen: Dieser „Figaro“ ist viel lockerer, witziger und kurzweiliger geworden. Dass er damit vom Außergewöhnlichen näher in Richtung Konvention rückt, werden Hardcore-Harnoncourt-Fans mit Recht bedauern, andere wird das weniger stören. Neben dieser Geschmacksfrage bleiben die Tatsachen: Guths zentrale Idee, die hinzugefügte Gestalt „Cherubim“ (wieder großartig: Uli Kirsch) in eine hochgeschlossen-verklemmte Welt unterdrückter Gefühle zu senden und dort gehörig Verwirrung stiften zu lassen, funktioniert nun viel besser – weil nicht mehr der Eindruck entsteht, die eigentlichen Personen würden in die zweite Reihe gedrängt, seien nur von geringerer, passiver Bedeutung. Das mag daran liegen, dass seine mit allerlei wundersam-poetischen Theaterideen ausstaffierten Machenschaften nun schon bekannt sind, und daran, dass Guth tatsächlich einige Nachbesserungen in ihrer Gewichtung vorgenommen hat.

Oder schlicht daran, dass die weitgehend neue Besetzung zum Teil aus intensiveren Sängerdarstellern besteht: Mit Diana Damrau etwa hat Guth eine, wie mir scheint, viel pfiffigere, rührigere Susanna erarbeitet, als sie Anna Netrebko auf die Bühne gestellt hatte. Im letzten Jahr noch als makellos dramatische „Königin der Nacht“ im Einsatz, lässt Damrau nun fast ebenso perfektes lyrisches Ebenmaß ertönen. Und Gerald Finley, der größte Zugewinn an vokaler Autorität im Vergleich zur Urbesetzung, singt den Grafen nicht nur jederzeit fulminant, also auch dann, wenn ihm „Cherubim“ buchstäblich im Nacken hockt, sondern löst die Strindberg-Figur durch einen eigenständigen Neurotiker ab, wie er eher aus einem frühen Hitchcock-Streifen stammen könnte.

Weniger lastende Langsamkeit

Der mit Brille und Notizbuch ausgestattete Figaro, diesmal in Gestalt des vielversprechenden, locker klingenden Luca Pisaroni, scheint nun ebenfalls an Profil gewonnen zu haben. Dorothea Röschmann wiederholt ihre überbordende Gräfin; nur die etwas steif tönende Martina Janková kann als Cherubino die überirdische Christine Schäfer nicht vergessen machen.

Ganz vergessen ist auch Nikolaus Harnoncourt nicht: Die lastende Langsamkeit, die seine Lesart und die ganze Aufführung geprägt hatte, wird szenisch noch am Beginn des dritten und vierten Akts zitiert. Auch Daniel Harding scheint manchmal bewusst an die breiten Extremwerte seines Vorgängers am Pult erinnern zu wollen, ohne aber wie dieser gleichsam jede Note zweimal umzudrehen und auf ihre Bedeutung hin zu prüfen, bevor er sie doch noch spielen ließ. Insgesamt sind Musik und Darstellung übereinstimmend beschleunigt, lassen die Philharmoniker einen routinierten, um einige knallige Attacken und Tempodehnungen erweiterten „Figaro“ abschnurren. Die stärksten Eindrücke des fast einhellig bejubelten Abends kamen freilich von der Bühne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2007)

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