Gesunde Versprechen

Glutenfreie Lebensmittel sind teilweise hoch verarbeitet – und es können ihnen Nährstoffe fehlen.
Glutenfreie Lebensmittel sind teilweise hoch verarbeitet – und es können ihnen Nährstoffe fehlen.(c) dpa-Zentralbild/Peter Endig (Peter Endig)
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Glutenfrei, vegan, bio – Lebensmittel mit solchen Bezeichnungen empfinden Konsumenten oft als besonders gesund. Experten nennen dieses Phänomen Health-Halo-Effekt. Was hinter den Labels steckt und wer die Produkte kauft.

Zwei Portionen Kartoffelchips, zwei Naturjoghurts, zwei Kekse: Studienteilnehmern werden drei identische Produktpaare mit unterschiedlichen Verpackungen vorgesetzt – einmal mit Biosiegel und einmal ohne. Obwohl es sich bei allen Produkten um Bioprodukte handelt, empfinden fast alle 144 Testpersonen die Lebensmittel mit Biosiegel als gesünder, kalorien- und fettärmer, nahrhafter und sogar wohlschmeckender als die vermeintlich konventionellen Produkte. Was Jenny Wan-Chen Lee von der New Yorker Cornell-Universität in einer kleinen kontrollierten Doppelblindstudie zeigen konnte, wird in Fachkreisen Health-Halo-Effekt genannt. Dieser beschreibt das Phänomen, dass Labels wie „laktosefrei“ oder „regional“ für eine Art Gesundheitsheiligenschein sorgen. Konsumenten geben diesen Produkten den Vorzug, weil sie sich von ihnen bestimmte Benefits für ihre Gesundheit erhoffen. Andere Studien konnten etwa zeigen, dass Fair-Trade-Produkte als kalorienärmer oder glutenfreie Lebensmittel als bekömmlicher eingeschätzt werden. Doch wie gesund sind diese Produkte wirklich? „Die Presse am Sonntag“ zeigt anhand fünf gängiger Labels, was hinter der Produktkennzeichnung steckt, was Experten für den Einkauf raten und welche Bezeichnungen irreführend sein können.


Glutenfrei.
Glutenfreie Produkte müssen im Rahmen der Allergenverordnung gekennzeichnet sein. Laut Lebensmittelinformationsverordnung gibt es dafür genaue Vorgaben. Dem Label „glutenfrei“ kann man vertrauen. Doch warum gibt es überhaupt glutenfreie Lebensmittel? Zöliakie ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die Betroffenen das in fast allen heimischen Getreidesorten enthaltene Gluten, das Klebereiweiß, nicht vertragen. Für sie ist es sehr wichtig, dass Produkte als glutenfrei gekennzeichnet sind. Betroffen ist davon allerdings „etwa nur ein Prozent der Bevölkerung“, so Karl-Heinz Wagner, Ernährungswissenschaftler an der Universität Wien. „Der Trend, dass sich auch Gesunde glutenfrei ernähren, kommt aus den USA. Immer mehr Menschen behaupten, dass sie sich dadurch besser fühlen. Mittlerweile ist dort fast jedes Produkt, bei dem es möglich ist, glutenfrei.“ Das Problem: Glutenfreie Produkte, etwa Brot, Backwaren oder Nudeln fehlt das Klebereiweiß – dadurch ändern sich auch die Eigenschaften der Produkte, und es benötigt eine lange Liste an Zusatzstoffen, wie etwa Verdickungsmittel, um an das Ausgangsprodukt heranzukommen. „Glutenfreie Produkte sind teilweise hochverarbeitete Lebensmittel. Außerdem fehlen ihnen wichtige Nährstoffe“, warnt auch Ernährungswissenschaftlerin und Projektleiterin vom Verein für Konsumenteninformation, Birgit Beck. „Mein Tipp: Wenn keine vom Facharzt diagnostizierte Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit vorliegt, lieber gute Vollkornprodukte kaufen, und wenn erwünscht, statt Nudeln auch Pseudogetreide wie Hirse oder Buchweizen verwenden.“


Natürlich.
Bei Bezeichnungen wie „natürlich“, „100 % natürliche Zutaten“ oder „naturbelassen“ wird es schwieriger, denn für sie gibt es keine genaue Definition oder gesetzliche Regel. Ein Beispiel: Hefe ist zwar natürlich, hat aber geschmacksverstärkende Eigenschaften – so wie Glutamat. Auch über Apfelsaft lässt sich diskutieren: Ist Apfelsaft per se natürlich, auch jener aus Apfelsaftkonzentrat, oder nur direkt gepresster Apfelsaft? Und muss er dann aus regionalen Bioäpfeln sein? „Man sieht, bei diesem Thema ist die Grauzone sehr groß. Ob die Bezeichnungen die Konsumenten täuschen, kann man hier generell nicht sagen. Das ist immer eine Einzelentscheidung“, erklärt Beck. Hier hilft nur, die Zutatenliste genau zu lesen. Denn auch der natürlichste Apfelsaft kann jede Menge Zucker enthalten (siehe weiter unten).


Vegan.
Vegane Produkte sind wiederum gut gekennzeichnet, obwohl es unterschiedliche Labels gibt, etwa die Veganblume. Das Entscheidende: Das Produkt, verwendete Zusatzstoffe, technische Hilfsstoffe und der gesamte Produktionsprozess müssen vegan sein. Hier liegt das Problem im Detail: Ein einfacher Erdbeersaft kann beispielsweise mit Milcheiweiß geklärt worden sein – dann darf dieser nicht als vegan gekennzeichnet sein. Wie gesund vegane (Ersatz-)Produkte sind, ist eine andere Frage: Veganer Fleischersatz kann salziger als das tierische Produkt und voll mit gesättigten Fettsäuren sein.

Die Zutatenliste von veganen Ersatzprodukten ist oft sehr lang, sie sind teilweise stark verarbeitet und nicht per se gesünder als die ursprünglichen Lebensmittel, wie viele Konsumenten glauben. „Wenn sich jemand vegan ernähren möchte, erfordert das eine grundlegende Ernährungsumstellung: Es bedeutet nicht, nur auf tierische Produkte zu verzichten und stattdessen Ersatzprodukte zu konsumieren“, so Ernährungswissenschaftler Wagner. „Vegan mit vielen Fertigprodukten zu leben ist genauso gesund oder ungesund wie eine Mischkost mit vielen Fertigprodukten.“ Laut österreichischem Ernährungsbericht essen die Österreicher übrigens generell zu viel Fleisch bzw. tierische Lebensmittel.


Zuckerfrei.
Fruktose, Isoglukose, Maltose, Glukose, Saccharose – hinter all diesen Begriffen steckt Zucker. Auch wenn ein Produkt mit den Worten „enthält von Natur aus Zucker“ beschriftet ist, kann es eine Menge Zucker enthalten. „Gerade Bezeichnungen wie ,ohne Zuckerzusatz‘ können irreführend sein, denn auch hier gibt es keine gesetzliche Regelung, wie viel Zucker enthalten sein darf“, so VKI-Ernährungsexpertin Birgit Beck. Energiereduzierte Lightprodukte verleiten außerdem viele Konsumenten dazu, mehr davon zu essen, mit der Folge, dass sie genauso viel oder sogar mehr Zucker zu sich nehmen, denn gerade diese Lebensmittel sind oft besonders gesüßt.

Tückisch sind vor allem vermeintlich gesunde Fruchtsäfte, Smoothies, Müslis oder Müsliriegel – wahre Zucker- und Kalorienbomben, deren Zutatenliste man besser genau liest. Beck rät: „Egal, in welcher Form, sollte die Menge von 50 g Zucker pro Tag, ganzes Obst und Milchzucker nicht einberechnet, nicht überschritten werden.“


Regional.
Für regionale Lebensmittel gibt es keine einheitliche Definition. Will man ein Produkt aus Österreich, dann kann man sich auf das AMA-Gütesiegel verlassen. „Ein Produkt mit der Aufschrift ,hergestellt in Österreich‘ wurde zwar in Österreich produziert, allerdings müssen die verwendeten Rohstoffe – etwa Haselnüsse – nicht aus Österreich stammen“, erklärt Beck. Ob ein Produkt regional ist, hängt auch oft vom Wohnort ab: Ein Westösterreicher empfindet ein Lebensmittel aus Niederösterreich vielleicht gar nicht mehr als regional. Hier muss jeder für sich entscheiden, ob die Bezeichnung „regional“ noch gilt. Ein wichtiger Aspekt ist auch der Unterschied zwischen regional und saisonal – regionale Paradeiser können trotzdem außerhalb der Saison im Gewächshaus angebaut worden sein.

„Grundsätzlich gilt: Je mehr einfache Lebensmittel man kauft – etwa Obst und Gemüse im Stück, Brot, Getreide, Fisch oder Fleisch im Ganzen, einfache Milchprodukte –, desto leichter gelingt gesunde Ernährung“, rät Beck. Labels können beim Einkauf zwar eine Hilfestellung sein, Konsumenten allerdings auch täuschen.

Interessant sei, bei welchen Personen der Health-Halo-Effekt am besten funktioniert, sagt Wagner: „Es sind die ohnehin bereits Gesundheitsbewussten, die zu Produkten greifen, von denen sie sich eine besonders gesundheitsfördernde Wirkung erhoffen. Im besten Fall sind die Produkte auch noch gut für die Umwelt und die Menschen – oft ist egal, was es kostet.“

Heißt: Wer den Health-Halo-Effekt umgehen will, der sollte sich eventuell selbst an der Nase nehmen, Zutatenlisten sowie Nährwertangaben auch bei vermeintlich gesunden Produkten genau studieren – und nicht jedem Label aufsitzen.

Infos im Netz

Lebensmittelcheck
Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) testet regelmäßig Lebensmittel. Eigene Beobachtungen beim Einkauf, etwa trügerische Produktbezeichnungen, kann man beim VKI für den sogenannten Lebensmittelcheck anmelden. www.vki.at

Gluten- bis laktosefrei
Seit Dezember 2014 gibt es EU-weite Vorschriften zur genauen Kennzeichnung von Lebensmitteln. Im Rahmen der Lebensmittelinformationsverordnung müssen etwa Allergene (z. B. Gluten) genau ausgezeichnet werden. www.sozialministerium.at

Vegan leben
Hintergrundwissen zur veganen Ernährungs- und Lebensweise, Informationen rund um Themen wie Gesundheit, Gesellschaft, Tiere oder Umwelt sowie Rezept- und Restauranttipps findet man unter www.vegan.at.

Bio Österreich
Woran erkenne ich Bioprodukte, welche Siegel gibt es und was bedeuten die unterschiedlichen Kontrollstellencodes auf Bioprodukten? Mehr dazu: www.bio-austria.at

Österreichische Lebensmittelpyramide
Die allgemeinen Empfehlungen für eine ausgewogene Ernährung, einfach und übersichtlich erklärt, finden sich in der Lebensmittelpyramide des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz. Sie gibt es auch für Kinder sowie für Schwangere und Stillende. www.bmgf.gv.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2018)

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