Rundfahrt: Auf der Donauwelle

Die Donau: ein Strom mit künstlerischer Ader. An seinen Stromschnellen: ein Strudel aus Musik, Wein, BaukunsT. Mitreissend.

Eine kleine Notlüge im Gepäck: Den Vorsatz, die Donau von der Stelle, an der sie nach Österreich hereinschwappt bis zu der Stelle, an der sie aus Österreich heraustritt, auf dem Wasserweg zu befahren, haben wir gebrochen. Unsere Reise beginnt in Linz. Sie endet kurz vor Wien. Korrekterweise hätten wir schon im Sauwald zusteigen müssen. Nomen est omen, denn hier im Wald geht keiner an Bord.

Wir befahren die Donau wie eine Autobahn. Bewusst ohne Nostalgie, den Blick aber auf die Dinge gerichtet, die sie hervorbringt: Baukunst, Musik,  Literatur, Wein. Wir benutzen den Wasserweg, um immer wieder abzubiegen, auszusteigen, sightseeing-technisch abzuweichen. In Linz. In Grein. In Krems. In Kor- und Klosterneuburg. Wir folgen der künstlerischen Ader der Donau. Dem kulturellem Band, das scheinbar Entlegenes verbindet: eine Ars Electronica mit barocken Donau-Festwochen, coole Strandkörbe in der Korneuburger Werft mit alten Fässern im Keller-Labyrinth unter dem Loisium.

Dazwischen trägt uns das Wasser Geschichte(n) zu – von Autoren, die die Donau gesucht, beschrieben, auch gefürchtet haben: Strindberg den Strudengau, Horvath Wien und die Wachau, Stifter das bis ans Wasser herunterreichende Mühlviertel. Motorgüterschiffe schieben sich träge an uns vorbei. Tonnen von Mineralöl, Schrott und Düngemittel. Passagierschiffe mit Ausflüglern: Fetzen von Volksmusik und Operette fliegen herüber. Man winkt sich zu. Wir haben erste Radfahrer im Visier. Wie sie dahinstrampeln auf den alten Treidelwegen, auf denen die Pferde die Schiffe mangels Antrieb gezogen hatten. Und lachen über das Bild, dass es heute Esel sind, Drahtesel, die die Schiffe begleiten. Noch sind es wenige, aber bald verwandelt sich die Radroute Passau–Wien in eine Art Donau-Tangente.

Andockstation Linz.

Anders als die Wiener wussten die Linzer schon früher mit ihrem Stück Donau bau- und grünlandtechnisch etwas anzufangen, manche Pläne (Stichwort Führerstadt) sind gottlob den Bach hinunter. Mit der Voest (das Gelände ist in einem Tagesmarsch abgeschritten) handelte sich Linz das Image einer grauen Industriestadt ein. Hochöfen, Schlote, Industriearchitektur. Heute auch Spiel- und Konzertstätte, sogar Schauplatz eines eigenen  „Voestivals“. Mit Brucknerfest, Ars Electronica und dem neuen Lentos Museum versuchten die Linzer den Stahlgeruch wieder loszuwerden, oder besser: für ihre Zwecke zu nutzen.

Wir marschieren durch den Donaupark. Hier also lauschen die Linzer den Klangwellen im Namen Bruckners, eines Komponisten, dessen Bescheidenheit genauso Legende war wie sein Heißhunger auf Lammbeuschel und Knödel. Zwei Millionen Menschen haben die Glass-, Pärt- oder Schostakowitsch-Teppiche aus der weltweit größten Dolby-Sourround-Anlage (250.000 Watt) bereits an die Donaulände gelockt – in etwa so viele wie gleichzeitig das Wiener Donauinselfest stürmen. Ein schönes Verbindungsstück zwischen der experimentellen Ars Electronica und dem Brucknerfest.
In der Nacht fluoresziert das Lentos über der ganzen Stadt. Der eindrucksvolle Museumsbau zeigt, in welche Richtung sich „Linz 2009“ – Europäische Kulturhauptstadt – bewegen wird: experimentell, unorthodox, technologisch. Wenn es eine Aktionszeit für Linz gibt, dann die Zukunft.

Passage Grein.

Zurück in die Vergangenheit. Vor der Regulierung und dem Bau des Kraftwerks Ybbs-Persenbeug waren Fahrten in diesem Donauabschnitt die reinste Knieschlotterpartie – und zwar dreifach: Schiffer gerieten bei Grein vom Schwalleck zuerst in den Strudel, dann in den Wirbel. Aus Furcht um Fracht und Leben ließen sie ihre Boote extra für diese Etappe entladen, wie Bernhard Schwetz in seiner hellsichtigen literarischen „Donau“-Beschau beschreibt. Selbst Sisi kam auf ihrer Fahrt nach Wien ins Trudeln. Im Sommer erwacht die kleine Barockstadt Grein. Der Strudengau – Greinburg, Strindbergmuseum in Saxen, Burg Kreutzen – ist Schauplatz einer Konfrontation von Barockmusik und Moderne an historischen Orten. Dass Grein bei Wiener Sommerfrischlern einen ähnlichen Status hatte wie einst Bad Ischl oder Reichenau, davon zeugt Österreichs ältestes Theater.

Alternativprogramm spieltÂ’s auf der Burg Clam gegenüber: Rock. Und wenige Kilometer flussabwärts auf der anderen Seite liegt Ybbs, der Ort, an dem Österreichs vorderste Kabarettisten regelmäßig Gnackwatschen ans Establishment austeilen.
Vor Anker in Krems. Es hat ganz den Anschein, als wäre die halbe Stadt Teil der Kunstmeile. Die Eingemeindung von Kunsthalle, Karikaturen-Museum, Filmmuseum, Klangraum Minoritenkirche, Literaturhaus oder Artothek (eine Art Kunstleihanstalt) in den Kultur-Alltag der Wachauer wie ins internationale Feuilleton gelingt. Speziell die Kunsthalle birgt Überraschungen, vereint große Namen: Beuys, Klee, Gaugin, M. C. Escher.

Weltkulturerbe ist hier kein Glassturz, kein Zwang zu historischer Erstarrung.
Mitten in Krems gibt ein Festival unüberhörbare Töne von sich. Signale, die deutlich machen, dass hinter Mainstream und verkrampftem Avantgarde-Habitus endgültig das Fallbeil heruntergegangen ist. Gerade im Vorjahr hat das Donaufestival eine deutliche Kurskorrektur eingelegt: Unbekümmert begibt man sich auf die Suche nach einer neuen, subkulturellen Identität, schafft „Sound Bodys“, inszeniert schräge Rezeptionsräume, erhebt die Popkultur zum Schlachtfeld des Experimentellen. Die Sekundanten: Acidjazz-Neo-Retro-Philosophen wie David Toop, Noise-Geschwader   la Keiji Hiro, Gender-Destruktivistinnen der Marke Peaches. 

Drei Wochenenden lang geballte Ladung Musik, Performance, Film im tanzkompatiblen Club-Fomat. Matthew Herberts Devise „Musik muss in einer Disco wie auf einem Begräbnis funktionieren“, wird hier gelebt. Das heißt auch: kurzerhand Grünfläche in einen Sabotage-Platz umfunktionieren, die Minoritenkirche zum Teil der Performance werden lassen und die Party-Location flussabwärts in die Werft in Korneuburg auslagern.

Backbord in Langenlois.

Weg von der Donau. Das Loisium ist unser Ziel. Zwei Winzer (Karl Steininger und Erwin Haimerl) und ein Wirtschaftstreuhänder (Gerhard Nidetzky) hatten die Idee, Wein in Architektur umzusetzen, kein Themenpark, sondern eine Erlebniswelt. Da traf es sich gut, dass Dietmar Steiner vom Architekturzentrum Wien einen Draht zu Steven Holl herstellte, der wiederum einen Draht zu Franz Loimer hatte, der sich einen neuen, schwarzen Keller-Verkost-Kubus hatte bauen lassen – jedoch von anderen Architekten (Andreas Burghardt).

Ein paar ausgezeichnete Achterln Veltliner – schon fing der New Yorker Stararchitekt Feuer und scribbelte das ganze Loisium-Projekt in einem Zug aufs Papier: eine Achse vom barocken Winzerhaus über den Kubus des Loisium bis zum „Spa Resort Hotel“. Mitten in die Langenloiser Rieden gepflanzt, sodass den Hotelgästen die Reben fast beim Fenster hereinwachsen. Und direkt über dem weit verzweigten Kellersystem, das sich durch Langenlois hindurchzieht. So will es eine Legende.

Tatsache: Seit 2003 ist das Loisium in Betrieb. Oben Besucherzentrum, unten Weinwelt. Schachttiefe Einblicke in das Weinmachen vom Gärdom bis zum Verkostungsachterl. Holls Kubus: ein Heiligtum, geweiht dem Grünen Veltliner und Co.
Das Hotel balanciert auf einem Glaskörper, es sollte die Anmutung entstehen, das Gebäude würde hoch über dem Boden schweben. Der Bau wirkt wie eine amorphe Masse. Zahlreiche Auskragungen geben Struktur. Kork erscheint als Leitmotiv. Holl ließ es sich nicht nehmen, auch das Interieur zu entwerfen, Wittmann setzte es um. Der Naturbezug der Architektur ist evident – der Traubenkern Teil des Spa-Konzepts und die Traube selbst Teil von Helmut Österreichers gesunder wie weinaffiner Regionalküche. Musikalisch setzt man derzeit eins drauf. Die „Loisiarte“ widmet sich den vier Elementen. Klassisch.

Abdrehen zu den Designwinzern.

Die Notwendigkeit, im Keller aufzurüsten, brachte einen Ideenschub mit sich. Heute ist „WeinArchitektur“ im Donau-Umfeld so verbreitet, dass sie eigene Ausstellungen und Bücher füllt: „Die Zeit der alten Weinkeller und Weinpressen war endgültig vorbei. Für die neuen Stahltanks, die Barriquefässer, für die klimatisch kontrollierte Gärung, die Flaschenabfüllung, brauchten die Winzer neue Räume mit einer logistischen und technischen Konsequenz, die sie nicht mehr selber oder gemeinsam mit den örtlichen Baumeistern bewältigen konnten. Sie brauchten die Hilfe von Architekten“, schreibt Dietmar Steiner. Ein neues Revier für Lifestylisten war eröffnet. Weingüter wie Loimer, Bründlmayer oder Hirsch ließen sich vom Baurausch mitreißen. „Kam der Kunde früher mit dem Opel Kadett und packte Dopplerflaschen in den Kofferraum, so kommt er heute im schwarzen Porsche und schlichtet die Sechserkartons auf den Rücksitz.“ So schaut‘s aus. 

Hüben die Weinkultur.

Drüben in Göttweig ein Festival zum Thema „Wein und Literatur“, das das Lesen in die Tat umsetzt. Schriftsteller im Rang eines Dimitre Dinev oder Raoul Schrott lassen sich vinophil begleiten. Thema sind Blut, Rio, Weinviertel und Krimi. Wetten, dazu passt speziell ein Roter.

Im Hafen. Wo oder besser wie legen wir es an? Moderne Kunst tanken in der Sammlung Essl in Klosterneuburg? Ein Nickerchen in der Frühlingssonne, Strandkorbliegen in der Korneuburger Werft? Wir lassen uns treiben, überlassen dem Wasser die Entscheidung. Ans andere Ufer geht‘s später. Ist ja nur über die Donau ...

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