Das "Erzähl doch mal"-Prinzip

Erzaehl doch malPrinzip
Erzaehl doch malPrinzip(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mit Storytelling-Videos will ein Wiener Start-up Orientierung im Dschungel der Berufswelt bieten. Der Grundgedanke: Jeder erklärt selbst am besten, was er macht.

Auf die Frage „Was bist du denn von Beruf?“ hatte Ali Mahlodji schon eine ganze Menge unterschiedlicher Antworten parat. Hochbezahlter IT-Berater bei Siemens, Sales Manager gar bei Sun Microsystems, später Key Account Manager bei der Wiener Kreativagentur Super-Fi. Viel früher war er aber auch schon mal Schulabbrecher, McDonald's-Mitarbeiter, Supermarktkassierer. Heute wiederum ist er Unternehmer.

Nicht jeder 30-Jährige hat einen derart bunten Werdegang hinter sich. Doch auch in der Breite ist die Berufswelt komplexer geworden – und chaotischer denn je. Berufsratgeber und Orientierungstests können nur zum Teil Abhilfe schaffen. In der Regel ist das Bild, das Schul- und selbst Uni-Absolventen von ihren beruflichen Möglichkeiten haben, recht lückenhaft. Mit 14 hatte Mahlodji selbst schlichtweg kein Ahnung: „Als Flüchtlingskind hat man ziemlich wenig Vorbilder und Role Models“, erzählt der Sohn zweier politischer Flüchtlinge aus dem Iran. Schnell hat er gemerkt, dass es am aufschlussreichsten ist, die Menschen einfach zu fragen, was sie denn so machen.

Schon damals setzte sich die Idee bei ihm fest, solche Gespräche und Erzählungen in irgendeiner From festzuhalten. Es brauchte noch einen Werdegang vom Gelegenheitsjobber bis zum Workaholic, bevor er das Projekt vergangenes Jahr endlich ernsthaft in Angriff nahm: In Form von Video-Interviews, bei denen alle Befragten die immer gleichen sieben Fragen über ihren Job beantworten. Von: „Was steht auf deiner Visitenkarte?“ über Einschränkungen, die der Beruf mit sich bringt, bis hin zu drei Ratschlägen ans „14-jährige Ich“. Nach einer Anlaufphase im vergangenen Jahr ist Whatchado seit Jahresbeginn ein eingetragenes Unternehmen. Auf der Plattform kann man sich aktuell durch mehrere hundert Videos klicken.

Dem Ziel der maximalen Vielfalt kommt das schon ziemlich nahe: Marionettenspieler Alex Barti lässt sich von seiner eigenen Puppe ankündigen, und beschreibt seinen Werdegang vom Möbeldesigner zum „Puppetist“. Telekom-Boss Hannes Ametsreiter spricht darüber, warum Schulnoten keine besondere Rolle spielen, während ein paar Klicks weiter die Mitglieder der „Tekkno-Punk-Wahnsinn“-Band Gudrun von Laxenburg schildern, wie sie vom Musikmachen leider noch nicht leben können. Aus denselben sieben Fragen ergibt sich bei Werber Rudi Kobza eine Erzählung über den „geordneten Weg zum lebhaften Produkt“ und bei Taxifahrer Ferdinand Weismann über die Vorzüge, irgendwo einen Chef zu haben, aber den ganzen Tag ohne ihn zu verbringen.


Nicht nur für Teenager.
Die ursprüngliche Zielgruppe für diesen Content waren 14-Jährige – nicht nur weil die Idee auf den 14-jährigen Mahlodji zurückgeht, sondern weil spätestens in diesem Alter ernsthafte berufliche Weichen gestellt werden, allein schon durch die Frage, ob man eine Lehre, BHS oder AHS absolvieren möchte. In Wahrheit liegt das Durchschnittsalter der Besucher irgendwo zwischen 19 und 35. Es zeigt sich, dass auch viele Menschen mit ersten Berufserfahrungen noch längst nicht das Gefühl haben, im Wunschjob angekommen zu sein.

Diesen Leuten zu helfen, ist für Whatchado keine karitative Angelegenheit, sondern ein Geschäftskonzept: „Die Firmen haben ein Problem: Sie suchen nach Fachkräften, können aber oft nicht vermitteln, worum es im Beruf geht. Es gibt zwar Jobprofile, die liest sich aber kein Mensch durch“, sagt Mahlodji.

Neben einer Kooperation mit dem Jobportal Karriere.at, das unter jedem Video passende Inserate platziert, können Unternehmen selbst zu Whatchado-Kunden werden und das Videoteam für Geld auf die eigenen Mitarbeiter loslassen. Bleibt da die Authentizität auf der Strecke? „Menschen können ihre Berufe gut darstellen, das wird nicht irgendein Marketing-Blabla“, sagt Mahlodji. „Jeder muss sieben Fragen beantworten. Und wenn einer keine Antwort auf die Frage nach Einschränkungen im Beruf geben will, brechen wir das Gespräch ab.“ Zwei Mal sei das vorgekommen, am Ende setzte man sich durch und hat somit eine Art Präzedenzfall geschaffen: Jeder beantwortet alles oder gar nichts.

Eine Obergrenze für die Video-Anzahl gibt es mitnichten. „Ich will nicht mit einem Journalisten über seine Arbeit sprechen, sondern mit 100“, meint Mahlodji. Das bringt 100 Meinungen und Perspektiven auf eine Tätigkeit, schafft ein differenzierteres Bild. Damit sich die Nutzer immer zurechtfinden, hat Whatchado – das Start-up wird auch von „aws Impulse“ als Teil der „Evolve“-Initiative des Wirtschaftsministeriums unterstützt – ein „Matching“-System ausgetüftelt. Jeder Interviewpartner beantwortet außerdem 19 Fragen zu den eigenen Interessen und Neigungen. Die User auf der Website können dieselbe Liste durchgehen und bekommen die Videos mit der größten Übereinstimmung präsentiert. So wird nicht nur nach Tätigkeiten, sondern auch nach Persönlichkeitsmerkmalen gefiltert. Ein Beruf allerdings findet sich auf Whatchado noch nicht; den gibt es nur auf der Visitenkarte des Gründers: „Chief Storyteller“.

JOb-Atlas

www.whatchado.net
Auf der Plattform finden sich aktuell 445 Video-Interviews mit Vertretern aller Branchen und einer Hundertschaft an Berufsgruppen.

Storytelling
Der Gesprächscharakter der Interviews und eine stetig wachsende Zahl an Videos sollen unterschiedliche Perspektiven und damit einen möglichst authentischen Eindruck der Berufswelt liefern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2012)

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