»Wir leben immer noch in einer Art Einparteienherrschaft«

Der rumänische Politikwissenschaftler Cristian Pîrvulescu spricht über die Hintergründe des gegenwärtigen Machtkampfes.

Die Präsident Traian Basescu nahe stehende liberaldemokratische Partei (PD-L) boykottiert das Referendum. Weshalb?

Cristian Pîrvulescu:Offiziell wird die Furcht vor Wahlfälschungen als Rechtfertigung angeführt. Allerdings: Ohne Teilnahme der PD-L-Anhänger kann die für die Gültigkeit des Votums nötige Mindestwahlbeteiligung von 50 Prozent kaum erreicht werden. Dies ist die einzige Chance Basescus, im Amt zu bleiben.

Warum?

Offiziell besteht Rumäniens Wählerschaft aus rund 18 Millionen Stimmberechtigten, ständig sind davon aber nur 15 Millionen in Rumänien ansässig. Von denen müssten somit 65 bis 70 Prozent wählen gehen, damit das Referendum gültig ist – ohne PD-L-Anhänger ist das unmöglich.

Was sind die Folgen, falls Basescu, wie erwartet, das Referendum klar verliert, aber doch im Amt verbleibt?

Bisher liegt das Regierungsbündnis „Sozialliberale Union“ (USL) zwischen Sozialdemokraten und Nationalliberalen in den Meinungsumfragen bei rund 55 Prozent. Doch ein Scheitern des Referendums könnte das Bündnis vor den Parlamentswahlen im Herbst unter Druck setzen. Die Instabilität und politische Krise im Land werden sich fortsetzen – und vergrößern.

Und was wären die Auswirkungen für den Präsidenten?

Basescu ist in Rumänien im Moment alles andere als populär – das Referendum und die ganze Debatte darum kommen ihm eigentlich durchaus gelegen. Seine weitere Strategie dürfte es sein, die Gegensätze zwischen den Regierungspartnern zu vertiefen.

Wird die harte EU-Kritik an den verfassungsrechtlich fragwürdigen Manövern der Regierung von Premier Victor Ponta den Ausgang des Volksentscheids beeinflussen?

Nein. Laut Umfragen ist der Anteil der Basescu-Gegner unverändert hoch. Allerdings dürften noch mehr Menschen die Lust verloren haben, überhaupt zu der Abstimmung zu gehen.

Präsident und Premier werfen einander vor, für die gegenwärtige Krise verantwortlich zu sein. Teile der EU machen dafür vor allem Premier Ponta verantwortlich. Wie ist Ihre Sicht der Dinge?

Es ist leicht, Ponta zum Bösewicht und Basescu zum guten Kerl zu erklären. Das Problem in Rumänien ist, dass wir, so wie andere Transformationsstaaten, auch keine wirklichen Parteien haben, sondern Klientelparteien, die im Dienste ihrer Chefs stehen, und eine Personifizierung der Macht. Wir haben keinen starken Staat und keine starken Institutionen. Bei uns besteht der Trend, die öffentliche Verwaltung zu politisieren – und dafür ist auch Präsident Basescu verantwortlich.

Sie scheinen Basescu eher skeptisch zu beurteilen. Warum das?

In Österreich hat der Präsident laut Verfassung mehr Rechte als in Rumänien. Doch hier hat Basescu als Präsident stets versucht, die Regierungsgeschäfte zu kontrollieren – mit wackeligen Mehrheiten und Überläufern notfalls auch gegen das Parlament.

Die derzeitige Krise hat das Bild Rumäniens in der Europäischen Union nicht gestärkt. Wie beurteilen Sie den Zustand von Rumäniens Demokratie?

Die Rumänen wollen eine andere Politik, mehr auf Konsens gerichtet – und demokratischer. Das Problem ist die Kluft zwischen der politischen Klasse und der Bevölkerung. Wir leben immer noch in einer Art Einparteienherrschaft. Doch es ist sehr schwierig, innerhalb von nur zwei Jahrzehnten eine Demokratie zu entwickeln. Denn das ist ein sehr langer und mühsamer Prozess.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2012)

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