Waterloo lebt nicht nur von Blackberry

Waterloo lebt nicht Blackberry
Waterloo lebt nicht Blackberry(c) REUTERS (MIKE CASSESE)
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Die Krise des Blackberry-Herstellers "Research In Motion" trifft die Hightech-Region bei Toronto zwar schon, löst aber keine Panik aus. Das "Silicon Valley des Nordens" hat sich von den E-Mail-Handys emanzipiert.

Nicht so eilig, mahnt Thorsten Heins, Chef des Blackberry-Herstellers „Research In Motion“ (RIM). „Schreibt den Blackberry nicht ab“, sagt der frühere Siemens-Manager denjenigen, die schon die Nachrufe auf das Aushängeschild der kanadischen Informationstechnologie schreiben. Er gibt sich zuversichtlich, trotz derzeit sinkender Marktanteile und Verfall des Aktienwertes die Wende schaffen zu können. Auch Brenda Halloran, Bürgermeisterin von Waterloo, Hauptsitz von RIM, gibt sich betont optimistisch. RIM befinde sich in einer schwierigen Lage, „aber wir haben absolutes Vertrauen in den Erfolg von RIM und in unsere Gemeinde“. Waterloos Zukunft sei wegen seiner breiten ökonomischen Basis und der diversifizierten Wirtschaft „hell“.

„Research In Motion“ ist ein Markenzeichen der Region Waterloo in der kanadischen Provinz Ontario. Mit Sorge wird im Technologie-Dreieck Kitchener-Waterloo-Cambridge die RIM-Krise beobachtet, in Panik verfällt man aber nicht. Grund der erstaunlichen Gelassenheit: Das Wohlergehen der Region ist nicht von RIM abhängig. Mit rund 9000 Beschäftigten ist RIM einer der größten Arbeitgeber der Region. Aber der Technologiesektor zählt mehr als 30.000 Beschäftigte in rund 800 Unternehmen, und daneben gibt es einen starken Finanzsektor mit Banken und Versicherungen, die Automobilbranche und den Einzelhandel, die zusammen deutlich mehr Arbeitsplätze bieten als die IT-Branche. RIM hat somit nicht die dominierende Position inne wie die „Big Three“ Chrysler, Ford und General Motors in Detroit, wo die Krise der Automobilbranche die ganze Stadt erschütterte, oder wie Volkswagen in Wolfsburg – eine Stadt, die erst 1938 als Wohnstätte der Automobilarbeiter gegründet wurde.


Bemerkenswerter Cluster. Adam Howartson hat die Vielfalt der Hightech-Industrie von Waterloo im Blick, wenn er aus dem Fenster schaut. Howartson ist Direktor von OpenText, mit weltweit 5000 Angestellten und 150 Millionen Nutzern die größte Software-Firma Kanadas, die ihren Hauptsitz im David Johnston Forschungs- und Technologiepark der Universität Waterloo und ihr zweites wichtiges Standbein in München hat. Vom OpenText-Gebäude aus kann er das Institute for Quantum Computing der Universität Waterloo und Gebäude von Agfa, NavTech, CBET, Sybase, RIM und das Waterloo Accelerator Centre sehen, das Erfolg versprechenden Start-up-Unternehmen der Hightech-Branche hilft, ihre Produkte schneller auf den Markt zu bringen. „Wir sitzen mitten in einem bemerkenswerten Cluster“, sagt Howartson.

Denn die Städte Kitchener, Waterloo und Cambridge eineinhalb Autostunden westlich von Toronto, die als „Canada's Technology Triangle“ für sich werben, verfügen über eine landes-, wenn nicht sogar weltweit einzigartige Häufung von Hightech-, Forschungs- und Universitätseinrichtungen. Mit etwas mehr als einer halben Million Einwohner ist Waterloo in der Provinz Ontario eine der am schnellsten wachsenden Regionen Kanadas.

Die 800 Technologie-Unternehmen schöpfen aus einem Reservoir qualifizierter junger Arbeitskräfte, die von der Waterloo University, der Wilfried Laurier University Kitchener, dem Conestoga Institute of Technology and Advanced Learning oder von der Universität der Nachbarstadt Guelph kommen. Mitten in Kitchener liegt das Backsteingebäude der früheren Ledergerberei Lang, errichtet um 1850 vom deutschen Immigranten Reinhold Lang.


Silicon Valley North. Einst war die „Lang Tannery“ die größte Gerberei des Commonwealth. Heute ist sie Heimat des CommuniTech Hub, eines Zentrums für die Kommerzialisierung innovativer Technologien im Bereich digitaler Medien. In den hellen Hallen, durch die noch die Belüftungsrohre der alten Gerberei laufen, sind junge Tüftler wie Eric Ho am Werk. Ho sitzt an seinem Schreibtisch in der „Velocity Garage“, in der Start-up-Unternehmen gefördert werden.

Mit zwei Freunden hat er SciGit gegründet und arbeitet an einer Plattform, die Wissenschaftlern, die gemeinsam an einem Papier arbeiten, helfen soll. „Wir hoffen, sie im Juli präsentieren zu können“, sagt Ho, der im Alter von sieben Jahren aus Hongkong nach Vancouver kam. Für sein Studium wählte er die Universität Waterloo, weil er sich hier die größte Unterstützung erhoffte und fand: „Velocity und CommuniTech haben mir sehr geholfen. Es ist ein großartiges Umfeld mit vielen Leuten mit tollen Ideen.“

Zentren wie CommuniTech, das Accelerator Centre oder das Conrad Centre for Business, Entrepreneurship and Technology spielen eine wichtige Rolle in Waterloo. Sie sind Teil des Ontario Network of Excellence (ONE), das Ideen, die sich an Universitäten und Forschungsinstituten entwickeln, möglichst schnell und erfolgreich auf den Markt bringen will. „Seit 2007 wurden durch ONE mehr als 1200 neue, innovative Firmen gegründet“, berichtet Tom Corr, Präsident von ONE. Die Provinzregierung Ontarios hat seit 2003/2004 mehr als 3,6 Milliarden Dollar in Forschung und deren Vermarktung investiert, 80 Prozent davon in die Forschung an Universitäten, Colleges und Krankenhäusern.

„Die Waterloo-Region ist Silicon Valley North“, sagt Howartson. „Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, die einen solchen Pool an Talenten haben.“ Hier stieg RIM mit dem Blackberry zum Giganten im Handysektor auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2012)

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