Klage: Ratingagenturen zittern vor US-Richterin

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Ratingagenturen zittern USRichterin(c) Reuters (HANDOUT)
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Erstmals hat ein US-Gericht die Argumentation der Ratingagenturen, sie würden bloß ihre "Meinung" abgeben, zurückgewiesen. Eine richtungsweisende Entscheidung.

Wien/New york/Jil. Ratingagenturen stehen seit Beginn der Finanzkrise im Kreuzfeuer der Kritik. Bisher konnten die „großen Drei“ (Standard & Poor's, Moody's und Fitch) sich hinter dem großzügigen Recht auf Meinungsfreiheit in den USA verstecken. Wann auch immer Medien, Politiker oder Gerichte Näheres zu Verlässlichkeit und Zustandekommen der Ratings wissen wollten, hatten die Vertreter der Agenturen nur eine Antwort.

Ratings seien nicht mehr als „Meinungen“, hieß es dann immer. Das Ziel: Falsche Ratings, derentwegen zum Beispiel im Zuge der Lehman-Pleite viele Investoren Geld an den Börsen verloren haben, sollten relativiert werden. Wenn es sich nur um Meinungen handelt, dann kann man die Agenturen auch nicht für Fehler verantwortlich machen.

Die New Yorker Richterin Shira Scheindlin sieht das aber offenbar anders. Sie hat jetzt in einem Schadenersatzprozess einen Einspruch der Ratingagenturen Standard & Poor's und Moody's zurückgewiesen. Der Einspruch basierte auf der Behauptung, Ratings seien Meinungen. Stimmt nicht, sagt Richterin Scheindlin.

„Faktenbasierte Meinung“

„Bei Ratingurteilen handelt es sich zwar nicht um objektiv messbare Darstellungen von Tatsachen“, schrieb die Richterin in der Begründung. Die Ratings seien aber auch nicht bloße Meinungen, „wie die Ansicht, dass eine Küche besser sei als die andere“. Es handele sich vielmehr um „faktenbasierte Meinung“. Sie habe sich deswegen entschlossen, die Klage von 15 Großinvestoren gegen die Ratingagenturen zuzulassen.

Die Investoren haben beim Kollaps des Investmentfonds Cheyne im Jahr 2007 Milliarden verloren. Neben der Wall-Street-Bank Morgan Stanley machen die Kläger (darunter die Abu Dhabi Commercial Bank) auch die Ratingagenturen für ihre Verluste verantwortlich. Der Vorwurf: S&P und Moody's sollen dem Fonds auf Anweisung von Morgan Stanley eine Top-Kreditwürdigkeit bescheinigt haben – obwohl dies nicht der Realität entsprach.

Im Mittelpunkt des Prozesses wird wohl ein Gespräch zwischen zwei Mitarbeitern von S&P stehen, das via Instant–Messaging-Dienst geführt wurde. Die Transkription liegt dem Gericht vor.

Der Dialog:
Analyst A: „Der Deal ist lächerlich, wir sollten ihn nicht bewerten.“
Analyst B: „Wir bewerten jeden Deal.“
Analyst A: „Der Deal könnte von Kühen strukturiert werden, und wir würden ihn trotzdem bewerten.“

Ob die Analysten damals wirklich über Cheyne geredet haben, ist unklar. Aber im Zuge des Subprime-Booms haben viele „Schrottpapiere“ Topratings erhalten. Das Argument, dies seien nur Meinungen gewesen, hat die Ratingagenturen aber gut vor Schadenersatzforderungen geschützt. Zumindest bisher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2012)

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