Lily Brett: "Ich liebe es, wenn mein Publikum lacht!"

Archivbild
Archivbild(c) APA (ARTINGER Guenter)
  • Drucken

US-Bestseller-Autorin Lily Brett spricht mit der "Presse" über ihr neues Buch "Lola Bensky", Begegnungen mit Stars der Sixties und über "Chuzpe", ihr Stück, das mit Otto Schenk in den Kammerspielen zu sehen ist.

Die Presse: Mit 19 Jahren kommt die Heldin ihres neuen Buches, Lola Bensky, von Australien nach Amerika, wo sie Stars der Sixties wie Mick Jagger, Keith Moon von The Who oder „Doors“-Frontman Jim Morrison interviewt. Was ist heute für unsere Gesellschaft aus dieser Zeit wichtig?

Lily Brett: Die 1960er-Jahre brachten einen gewaltigen sozialen Umbruch und Veränderungen in allen Lebensbereichen, die bis heute den Blick auf fast alles prägen, was für uns wesentlich ist: Klasse, Geschlechter, Rasse, Alter.

Viele Stars der Sixties starben jung, oft an Drogen. In den Interviews mit Ihnen wirken sie wenig exaltiert, ganz anders als auf der Bühne.

Das Problem dieser Menschen war, dass sie sehr jung sehr berühmt und auch sehr reich geworden sind. Heute können viele mit solchen Ereignissen besser umgehen. Lola Bensky interessiert sich nicht für Musik. Sie ist auch nicht eine von diesen Journalisten, Journalistinnen, die ausrufen: „Wow, ich spreche mit einer Celebrity!“ Sie versuchte einfach gute Gespräche zu führen und für ihre Zeitung das Beste daraus zu machen.

In den Kammerspielen des Wiener Theaters in der Josefstadt wird am 22. November die szenische Fassung ihres Romans „Chuzpe“ uraufgeführt mit Otto Schenk und Sandra Cervik: Die Australierin Ruth hat sich als Unternehmerin in New York etabliert, ihr Vater folgt ihr, bald geht es drunter und drüber, denn Edek ist höchst eigenwillig.

Ich bin total begeistert, dass diese Aufführung in Wien stattfindet! Wien war für mich als Autorin sehr wichtig, mein erster Verlag in deutscher Sprache war Deuticke. Wenn ich Deuticke nicht gefunden hätte, wären meine Bücher vielleicht nie in deutscher Sprache erschienen. Ich bin sehr oft in Wien gewesen. Ich liebe das wunderschöne Theater in der Josefstadt und ich freue mich riesig, dass Otto Schenk den Edek spielt.

Wird Ihr Vater nach Wien kommen?

Nein, vor drei Jahren wäre es möglich gewesen, aber jetzt möchte ich nicht mehr, dass er fliegt. Er ist 96 Jahre alt. Ich bin unglaublich glücklich, ihn zu haben. Er lebt zehn Minuten weit weg von mir in New York.

Wie geht Ihr Vater damit um, dass er eine wichtige Figur in Ihren Büchern ist? Sagt er manchmal: „Also, Lily, so war das nicht!“?

Er weiß, dass ich Fiction schreibe, er kann das gut auseinanderhalten. Er lacht gern. Er ist unglaublich stolz auf mich. Meine Eltern haben das KZ Auschwitz überlebt. Sie haben Grauenhaftes durchgemacht. Nach dem Krieg waren wir Flüchtlinge in Australien. Wir lebten in einem einzigen Raum. Mein Vater liebt alles und jeden, er sieht an allem das Gute. Er liest jeden Tag die „New York Times“ und wenn ich ein neues Kleid habe, fällt ihm das sofort auf.

In Ihrem Buch „Zu viele Männer“ begaben Sie sich mit Ihrem Vater auf Spurensuche in Polen, wo Ihre Familie herstammt. Das Buch wirkt sehr deprimierend, weil man den Eindruck hat, dass die Stimmung in Polen immer noch sehr antisemitisch ist. Ist es für Sie belastend, heutzutage nach Europa zu kommen?

Nicht das Buch „Zu viele Männer“ ist deprimierend, sondern die Situation. Trotzdem sehe ich, dass die Welt heute ganz anders geworden ist als in den 1930er- und 1940er- Jahren: Die Menschen sind und denken anders. Als ich vor vielen Jahren das erste Mal nach Österreich und Deutschland reiste, um meine Bücher vorzustellen, war ich ängstlich und besorgt. Aber ich habe sehr viel gelernt seither – und die Menschen, die ich traf, haben ebenfalls sehr viel gelernt. Speziell die Deutschen haben sich intensiv mit den Konsequenzen ihrer katastrophalen Handlungen auseinandergesetzt.

Ist es vorstellbar, dass sich eine Katastrophe wie der II. Weltkrieg und der Holocaust wiederholt?

Ich weiß es nicht. Wenn ich das wüsste, wäre ich ein Genie. Katastrophen geschehen immer und überall. Es wäre dumm anzunehmen, dass so etwas nie mehr möglich ist.

Wie wird die jüngere Generation auf den Holocaust blicken, speziell, wenn die Zeitzeugen tot sind?

Die Kinder der Opfer wie der Täter standen nach dem II. Weltkrieg vor einer riesigen Mauer des Schweigens. Sie wuchsen auf mit dem Gefühl, dass etwas Furchtbares passiert war, das ihre Eltern oder ihre Großeltern enorm beschäftigte, die aber ihre Geheimnisse bewahrten oder nicht die Wahrheit sagten. Ich glaube, dass diese Ängste und Demütigungen von einer Generation zur anderen weitergegeben werden.

Wie denken Ihre Kinder über den Holocaust?

Sie sind anders aufgewachsen als viele andere. Ihre Großeltern waren in Auschwitz, sie sind sehr sensibel, was um sie herum vorgeht. Die Tragödie der Großeltern, die meinen Kindern sehr nahe waren, hat sie ebenso wie mich fundamental verändert und unser Leben geprägt. Meine Kinder engagieren sich bei Charity-Veranstaltungen, sie protestieren sofort, wenn sie rassistische Kommentare hören. Meine jüngere Tochter war dabei, als ich die Auschwitz-Gedichte schrieb, sie hat sie abgetippt und war sehr bewegt. Ich hatte sie nicht gebeten, das zu tun. Sie war zehn Jahre alt. Meine ältere Tochter hat viele Bücher und Zeugnisse Überlebender gelesen wie auch ich selbst alles darüber gelesen habe, was ich finden konnte. Meine Kinder sind ernsthafte Menschen, trotzdem genießen sie ihr Leben.

Sie haben sich viele Jahre einer Psychoanalyse unterzogen, um mit dem Schicksal Ihrer Eltern zurechtzukommen. Ist die Analyse eine gute Methode, ist sie noch zeitgemäß? Es gibt so viele andere psychotherapeutische Modelle heute.

Ich kann diese Frage nur für mich persönlich beantworten. Man braucht viel Geld, ich habe die Hälfte dessen, was ich verdient habe, zu meinen Analytikern getragen. Die Analyse hat mir geholfen, mich selbst zu verstehen und dass wir im Leben eine Wahl haben, den besseren Teil von uns zu entwickeln oder den schlechteren. Das war positiv für mich, auch wenn diese Therapie alles andere als ein Picknick ist.

Fällt Ihnen das Schreiben leicht?

Ich mache mir Notizen und fange an. Was wichtig ist, ist in einem selbst drinnen, im eigenen Leben. Ich bin immer wieder überrascht, was alles drinnen ist, wenn ich schreibe. Ich liebe es zu schreiben. Schreiben schließt einem Türen zu sich selbst auf. Es gibt mir inneren Frieden. Es ist das Einzige, was ich machen kann, ohne jemandes Hilfe zu brauchen. Ich habe keine Hobbys, ich fahre nicht Ski, tanze nicht, sammle keine Kunst. Schreiben ist das Einzige, was ich kontinuierlich gemacht habe, seit ich ein Teenager war. Ich bin damit glücklich, sogar, wenn ich von furchtbaren Dingen erzähle. Ich bin froh, diese Fähigkeit zu haben.

Ist Sprache eine Heimat für Sie?

Meine Eltern beherrschten die englische Sprache nicht, noch lange nachdem wir nach Australien gekommen waren. Die Leute haben meine Eltern schlecht behandelt, weil sie sie für dumm hielten. Sie mussten in Fabriken arbeiten. Dabei waren sie aus guter Familie in Polen, gebildet, sie konnten vier Sprachen, aber eben leider nicht Englisch. Ich musste für meine Eltern übersetzen und erkannte von klein auf die Kraft des Wortes.

Wovon handelt Ihr nächstes Buch?

Mein nächstes Buch spielt teils in New York und teils in Shanghai, ich bin dorthin gereist und habe mich total in diese Stadt verliebt, ich hatte das gar nicht erwartet. Es geht um die Beziehung zweier alter Männer, einer ist Jude, der andere Chinese. Mehr möchte ich nicht verraten, auch nicht, wann es erscheint, ich bin erst dabei zu schreiben.

Wenn man so mit Ihnen spricht, haben Sie wenig von Ihren Heldinnen, die meist neurotisch, nervös und von Ängsten geplagt sind.

Jede Figur, über die ein Autor schreibt, hat einen Anteil von ihm selbst, entweder ist es jemand, der er gern wäre oder der viel besser ist als er selbst. Ja, ich denke schon, dass ich überraschend unneurotisch bin, auch nicht hysterisch, natürlich bleibe ich nicht immer ruhig, aber relativ ruhig. Den Sinn für Humor habe ich wohl von meinem Vater geerbt, wenn er lachte, glaubte ich, dass die Welt in Ordnung wäre. Ich liebe es, wenn mein Publikum lacht, das freut mich! Ich bin auch ein sehr selbstironischer Mensch und kann über mich selbst lachen.

Zur Person

Lily Brett wurde am 5. 9. 1946 in Feldafing in einem Lager für Displaced Persons geboren. Ihre Eltern hatten im Ghetto von Lodz geheiratet, wurden im KZ Auschwitz getrennt und fanden einander erst nach sechs Monaten wieder. 1948 emigrierte die Familie nach Australien. Mit 19 begann Brett für ein Rockmagazin zu schreiben, ihren Durchbruch hatte sie 1995 mit dem Roman „Einfach so“. Sie ist mit dem Maler David Rankin verheiratet, hat drei Kinder und lebt in New York.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Literatur

Die Bücher: Variationen einer Ich-Geschichte

Lily Brett verbindet das Leichte mit dem Entsetzlichen, auch in ihrem neuen Buch "Lola Bensky", bei Suhrkamp erschienen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.