Alberto Barbera leitet wieder das Filmfest am Lido. Unter Druck von mehreren Seiten.
Eigentlich gilt im Festivalzirkus ja der Grundsatz „They never come back“. Alberto Barbera ist eine Ausnahme: Er hat das Filmfestival von Venedig schon von 1999 bis 2001 geleitet, nun ist er zurückgekehrt. Und er hat eine Mission: Er will der Gigantomanie der Festivals entgegentreten. Wo das Programm immer weiter ausgebaut werde, um mit der Anzahl der Premieren zu protzen, leide die Qualität. Da hat Barbera recht, aber im Hintergrund spielen auch andere Motivationen mit: Es muss schlicht gespart werden, und es geht um kulturpolitische Machtkämpfe in Italien.
Mit denen ist der 1950 im piemontesichen Piella geborene Barbera vertraut: Er begann seine Karriere in Turin als Leiter diverser Filminstitutionen und als Filmkritiker der „Gazzetta del popolo“. Dann überzeugte er als künstlerischer Leiter Venedigs mit drei soliden Editionen – und wurde als unliebsam abgesägt, nachdem Silvio Berlusconi wieder an die Macht gekommen war. Ironischerweise war es Berlusconis Rücktritt im November 2011, der Barbera zurückbrachte. Er bewirkte nämlich, dass der Vertrag mit Marco Müller nicht verlängert wurde. Müller hatte das Festival zwar zum aufregendsten Kinogroßereignis nicht nur Europas gemacht, war aber als starke Persönlichkeit ein Dorn im Auge von Paolo Baratta, dem Präsidenten der Biennale, die dem Filmfest übergeordnet ist. Dieser nutzte die Gelegenheit, statt Müller über die Weihnachtsfeiertage hinterrücks den als kompromissbereiter geltenden Barbera zu installieren.
Der steht jetzt mehrfach unter Druck: Die Biennale will offenbar Angleichung an die marktorientierten Festivals von Cannes und Berlin statt Müllers radikalen Kurs zwischen Starkino und Experiment. Zehn Tage hat Barbera nun Zeit, sich mit seinem verschlankten Programm zu profilieren. Und Müller lauert im Hintergrund: Er hat die Leitung des Konkurrenzfestivals in Rom übernommen, bisher eine Starparade ohne ästhetische Bedeutung – aber diesen November könnte jede Filmperle, die Barbera übersehen oder abgelehnt hat, ein Juwel in Müllers Krone werden. Ein Kulturkampf in Italien geht weiter. HUB[AP]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2012)