Filmfest Venedig: Start im Schatten von 9/11

Mira Nair
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Mira Nairs außer Konkurrenz gezeigter Eröffnungsfilm „The Reluctant Fundamentalist“ verbreitet peinliche Platitüden zur Terrorthematik rund um 9/11. Auch sonst war der Start der 69. Filmmostra schwach.

Wenige Tage, nachdem Mira Nair mit „Monsoon Wedding“ den Goldenen Löwen von Venedig gewonnen hatte, wurde die Welt von den Terroranschlägen am 11. September 2001 erschüttert. Elf Jahre später hat Festivalleiter Alberto Barbera (siehe Porträt) Nair als Eröffnungsregisseurin für seine Comeback-Edition der Filmmostra zurückgebeten: So kann er Frauenquotenpunkte sammeln, nachdem in Cannes heuer das Fehlen von Filmemacherinnen im Wettbewerb moniert wurde. Und er wartet mit einem gewichtigen Thema auf: In Nairs außer Konkurrenz gezeigtem Eröffnungsfilm „The Reluctant Fundamentalist“ (nach einem Roman von Mohsin Hamid) geht es um Terror, und 9/11 spielt eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der Hauptfigur.



Die heißt Changez Khan, wird vom britischen Hiphopper und Darsteller Riz Khan gut aussehend, aber farblos verkörpert, und hat einen amerikanischen Traum: Der gebürtige Pakistani studiert in Princeton und erlebt dann einen steilen Aufstieg als Analytiker bei einer New Yorker Unternehmensberater-Firma. Durch knallharte Kalkulationen wird er zum Liebling seines Vorgesetzten (klischeehaft, aber gut: Kiefer Sutherland). Bis 9/11 alles ändert: Changez wird Opfer erniedrigender Kontrollen und Verdächtigungen; als er sich protesthalber einen Mullah-Bart wachsen lässt, schaut man ihn auch im Büro schief an und bald findet er sein Auto mit zerschnittenen Reifen. Der Redneck-Täter fährt vorbei und schreit „Fuck you, Osama!“

„The Reluctant Fundamentalist“ ist ein Plädoyer für Differenzierung, vorgetragen mit dem Holzhammer. Dem Zuseher wird offenbar so wenig Verständnisfähigkeit zugetraut wie den eindimensionalen Vertretern von Brutalkapitalismus und islamischem Fundamentalismus, die hier als antagonistische Kräfte gleichgesetzt werden.

Vager Humanismus

Die Rahmenhandlung liefert ein Gespräch: Changez, enttäuscht als „revolutionärer“ Universitätsdozent heimgekehrt, erzählt seine Geschichte einem US-Reporter (Liev Schreiber ringt mit einer unterentwickelten Rolle), der freilich heimlich für die Terrorbekämpfer arbeitet. Straßenschlachten draußen und exaltierte Rückblenden sorgen für künstliche Aufregung in der schleppenden Dramaturgie, während die Weltkino-Inszenierung samt exotischer Beatmusik dem Thema alle Kanten abschleift: Die in Indien geborene Wahlamerikanerin Nair springt zwischen dem lebendigen Lahore und den ach so seelenlosen Bürowelten New Yorks hin und her, bis das Politische letztlich strikt dem Persönlichen geopfert wird. Eigentlich wie in Rachefilmen, nur hier ironischerweise im Namen eines vagen Humanismus, der niemandem weh tun kann: Fundamentalismus böse, friedliche Verständigung gut.

Immerhin hat der Film so etwas wie einen Moment der Wahrheit: Changez findet eine Freundin in der traumatisierten Nichte seines Chefs. Die wird von einer braunhaarigen Kate Hudson wenig überzeugend gespielt und entpuppt sich als Künstlerin, deren Installationen grottenschlecht sind (was den Filmemachern nicht bewusst zu sein scheint). Als sie ihre Beziehung zu Changez in eine vor peinlichen Platitüden triefende Arbeit umsetzt, hat der endgültig genug – und das Publikum ein gutes Sinnbild für den Film selbst vor Augen. Selbstironie scheint dabei leider nicht im Spiel.

Der unglückliche Auftakt hat die Linie der ersten Venedig-Tage vorgegeben: Der Wettbewerb begann mit dem ästhetisch ausgefeilten, aber zusehends absehbaren und unpassend herzlosen Ehebruchdrama „Betrayal“ vom Russen Kirill Serebrennikov, zwei asiatische Beiträge außer Konkurrenz hatten gewisse Qualitäten. „Penance“ ist eigentlich ein TV-Mehrteiler vom japanischen Ausnahmeregisseur Kiyoshi Kurosawa: Der versieht die mysteriöse Mordgeschichte mit starken, unheimlichen Momenten, wird aber der überbordenden Handlung nicht ganz Herr. Die verrückte Computereffekte-Martial-Arts-Komödie „Tai Chi 0“ aus Hongkong ließ indessen Rettiche fliegen und fand den Weg zur Erkenntnis im Auge eines Esels . . .

Mit der Premiere von „Paradies: Glaube“ am Freitag, dem Wettbewerbsbeitrag des Österreichers Ulrich Seidl wird frischer Wind kommen. Eine Erinnerung an Venedig 2001: Damals gewann Mira Nair; Seidl erhielt für „Hundstage“ den Großen Preis der Jury.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2012)

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