Austro-Erfolg: Ulrich Seidl bringt sein »Paradies« nach Venedig

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Nächsten Freitag läuft der zweite Film von Seidls Trilogie in der Lido-Konkurrenz: Der nächste Schritt im Jahr heimischer Filmfestivalrekorde?

Dass Michael Haneke heuer mit seinem zweiten Cannes-Sieg für einen internationalen Rekord sorgte, hat weltweit Aufsehen erregt. Nur eine Handvoll Regisseure wurden bislang überhaupt zwei Mal mit der Goldenen Palme von Cannes prämiert, keiner so rasch wie der österreichische Filmemacher: Drei Jahre nach dem Erfolg mit seinem Historiendrama „Das weiße Band“ 2009 blieb Haneke nun 2012 mit seinem Kammerspiel „Amour“ siegreich – und überrundete so knapp Bille August aus Dänemark, der 1988 und 1992 in Cannes gewann.

Indessen ist womöglich ein anderer Festivalrekord österreichischer Provenienz im Werden: Die Sextouristinnen-Saga „Paradies: Liebe“ von Ulrich Seidl war heuer ebenfalls im Cannes-Bewerb, ging aber trotz guter Kritiken leer aus. Nächste Woche folgt der zweite Streich: Am Freitag wird Seidl sein Kammerspiel „Paradies: Glaube“ als österreichischer Teilnehmer im Wettbewerb von Venedig vorstellen. Es wird spekuliert, dass „Paradies: Hoffnung“, der Abschluss von Seidls Trilogie, im Berlin-Wettbewerb 2013 uraufgeführt wird. Seidl wäre der Erste, dem dieser Hattrick auf den drei wichtigsten A-Festivals gelingt.


Sex und Religion. Eine erstaunliche Karriere für ein ungewöhnliches Projekt: „Paradies“, entstanden unter künstlerischer Mitarbeit von Seidls Partnerin und Koautorin Veronika Franz, war ursprünglich als ein großer Spielfilm angelegt – aus verschränkten Episoden im Stile früherer Seidl-Filme wie „Hundstage“. Im Zuge mehrjähriger Arbeit sind daraus drei eigenständige, doch korrespondierende Filme geworden. Die jeweiligen Hauptfiguren wurden am Anfang des Cannes-Beitrags „Paradies: Liebe“ vorgestellt, der bei Wiens Filmfest Viennale seine Österreich-Premiere hat und im November in die Kinos kommt (die Starttermine der anderen Teile sind noch nicht sicher).

Der starke Auftaktfilm „Paradies: Liebe“ folgte einer von Margarethe Tiesel gespielten 50-jährigen Wienerin, die am Strand von Kenia bei den „Beach Boys“ die Liebe sucht und doch wieder nur Einsamkeit findet. Der Schlussteil „Paradies: Hoffnung“ wird die Tochter dieser Figur in ein Teenager-Diatcamp begleiten. Im Venedig-Beitrag „Paradies: Glaube“ geht es um die ebenfalls etwa 50-jährige Schwester der Sextouristin: Seidl-Veteranin Maria Hofstätter spielt diese Frau, die ihr Paradies im Glauben sucht und mit Wandermuttergottes-Statuen missioniert, um Österreich wieder katholisch zu machen. Bis ihr Ehemann nach Jahren der Abwesenheit plötzlich aus Ägypten zurückkehrt: ein an den Rollstuhl gefesselter Moslem (verkörpert von Kinodebütant Nabil Saleh, der seither in Seidls Festwochen-Theaterinszenierung „Böse Buben/Fiese Männer“ Lob einheimste.) Ein privater Kleinkrieg beginnt, in dem sich der viel zitierte „Kampf der Kulturen“ spiegelt, zumal die Religion in der Auseinandersetzung eine Schlüsselrolle spielt: Debatten in Venedig sind programmiert.

Ohnehin führt am Austro-Kino auf den heurigen Festivals kein Weg vorbei: In Berlin war zwar kein heimischer Film im Wettbewerb, aber fünf Austro-Produktionen wurden in andere Sektionen geladen. Die Cannes-Konkurrenz bot dafür erstmals einen österreichischen Doppelschlag durch Haneke und Seidl. Seither gab es einen Darstellerpreis auf dem A-Festival von Locarno für das Dokudrama „Der Glanz des Tages“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel, wo auch „Museums Hours“, ein heimisch koproduzierter Wien-Essay des US-Künstlers Jem Cohen im Wettbewerb lief – bald nach Venedig ist dann Barbara Alberts neuer Film „Die Lebenden“ auf dem nächsten A-Festival in San Sebastian in der Konkurrenz. Und das Filmporträt „Kern“ von Veronika Franz und Severin Fiala wurde – in Nebenschienen – sowohl nach Locarno wie San Sebastian geladen.

Das österreichische Festivalerfolgsjahr wirkt insofern pikant, als just vor dem Cannes-Erfolg eine Debatte entbrannt war, in der es um die Reorientierung der Förderung Richtung „Publikumsfilm“ zulasten des heimischen Autorenkinos ging. „Da habe ich auch besorgt nachgefragt“, erzählt Haneke dazu im Interview, „aber die zuständigen Damen und Herren der Förderung haben mir inzwischen versichert, dass dem nicht so ist: Da sei etwas schiefgelaufen bei der Information, natürlich wisse man, dass Österreich seinen Ruf dem künstlerischen Film verdankt. Sie wären auch schlecht beraten, das nicht so zu sehen.“ Und Haneke weiß, wovon er redet – obwohl er mittlerweile großteils in Frankreich produziert, sieht er seine Wurzeln in Österreich: „Ich verdanke der österreichischen Filmförderung meine Karriere. Meine ersten Filme waren ja keine Publikumshits, und wenn man mich nicht trotzdem weiter gefördert hätte, wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Deswegen habe ich eine große Verbundenheit. Aber ich habe mich dabei nie als ,österreichischer Film‘ gefühlt, sondern immer als Haneke-Film.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2012)

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