„Der Komet“: Lüsterne Party, witzig, aber auch geschwätzig

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„Der Komet“, eine Uraufführung von Justine del Corte im Akademietheater, mischt Antike mit Schamanismus. Die Tragikomödie ist anfangs amüsant, später langatmig, trotz des bestens disponierten Ensembles.

Wer 30 Jahre lang Kammerspiele-Aufführungen gesehen hat, der weiß, dass es nicht einfach ist, wirklich gute, leichte, dennoch gehaltvolle Gesellschaftsstücke bzw. -komödien zu schreiben. Die alten wirken häufig antiquiert, die neueren bleiben oft hinter der Hollywood-Konfektionsware zurück. Insofern muss man Justine del Corte dankbar sein; sie versucht, einem gern verachteten, vom Publikum aber heiß geliebten Genre Impulse zu geben.

Seit Sonntag ist im Akademietheater ihre Tragikomödie „Der Komet“ zu sehen. Roland Schimmelpfennig, erfolgreicher Dramatiker und Lebenspartner der Autorin, hat mit ihr inszeniert. Die gebürtige Mexikanerin del Corte versucht, möglichst viel unter einen Hut zu bringen: Heiterkeit, Tragik, schlagfertige Konversation, Satire, Schlacht der Geschlechter, Kulturgeschichte, Satyrspiel mit Dionysos als Pate, Esoterik, Naturmystik. Auch spanisch-mexikanisches Flair hat das Drama, es scheut weder Pathos noch große Gesten. „Eine Komödie über die Vergänglichkeit mit viel Alkohol und einem Hirschtanz“, so beschrieb del Corte ihr Stück. Beim Hirschtanz denkt man an brünftige Hirsche. Es handelt sich aber auch um ein schamanisches Ritual, bei dem Großvater Hirsch eingeladen wird, die Herzen der Menschen in Einklang und Harmonie zu bringen. Im „Komet“ spielt Martin Schwab die Rolle des „Stammesältesten“.

Dieser ist hier alles andere als ein Heilsbringer, sondern ein grantiger Senior, der an Lungenkrebs starb und mit dem Apfelbaum von seinem Grab im Schlepptau in eine Hochzeitsgesellschaft platzt, die auf Wunsch der Braut ihre Feier nach zehn Jahren wiederholen will – was zur Neuauflage alter Verwicklungen führt.

Schwab als Wiedergänger Lothar sehnt sich vor allem nach Sex und entsetzt die Freunde mit Schilderungen aus einem Jenseits, in dem die Toten erstarrt an einem Tisch sitzend die köstlichen Speisen nicht erreichen können und ihr Gedächtnis verloren haben, ein Szenario, das an Tantalus und Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ erinnert. Im ersten Teil des mit drei Stunden und einer Pause überlangen Abends geht es noch ziemlich lustig zu. Die Romantikerin Elisabeth (hinreißend: Sylvie Rohrer) und ihr Mann Arthur, ein Transplantationschirurg und impotenter Don Juan (Fabian Krüger) zelebrieren ihre Liebe, an der nichts heil ist, außer der Illusion. Elisabeth hat bereits vor zehn Jahren, an ihrem echten Hochzeitstag, mit dem Möchtegernautor und Asien-Reisenden Gregor (Martin Reinke) geschlafen, das Kind hat sie verloren, Arthur kann kein neues zeugen.

Die Filmschauspielerin Anna (Dorothee Hartinger) träumt von einem Mann, aber an jedem, den sie kennenlernt, ist etwas faul. Elisabeths Schwester Vera (Sabine Haupt) ist eine Furie, die nicht nur ihren Gefährten Nick (Peter Knaack) quält, dieser ist zwar ein Taugenichts, aber er kümmert sich um das gemeinsame Baby. Man kann nicht alles haben. Theaterschauspielerin Greta (Corinna Kirchhoff) hat ihre Karriere ihrer Tochter Isabel (Anna Drexler) geopfert. Vor zehn Jahren hatte sie Sex mit Arthur, weil sie ein zweites Kind wollte. Diesmal schnappt sich Arthur aber die jüngere Anna. Die saturierte Geschäftsfrau Nane (Barbara Petritsch) macht alle fertig und säuft imposant. Petra Morzé gibt die Frohnatur Dagmar, die am liebsten vom Sterben in ihrem Altenheim erzählt. Am Ende sind alle Flaschen geleert, und es geschieht ein Unglück.

Corinna Kirchhoff als feine Komödiantin

Del Corte mischt locker Tief- und Flachsinn. Das Perfide, die Bösartigkeit der Dramen Yasmina Rezas fehlen, auch Woody Allens Eleganz und tiefes Wissen um die Pointe, seine dem „Komet“ ähnliche „Mittsommernachtssexkomödie“ ist im Burgtheater zu sehen. Filmdialoge sind letztlich meist künstlich, diese hier sind allzu natürlich. Himmelweit scheinen die poetisch und philosophisch fantasievoll unterfütterten Panoramen eines Botho Strauß – die allerdings heute vielleicht nicht mehr so geheimnisvoll schillern würden wie vor 20 Jahren. Also muss man nachsichtig sein. Es gibt köstliche Wortduelle, treffende Beobachtungen, aber auch ermüdendes Geschwätz. Jeder hat mindestens einen großen Soloauftritt, wobei sich speziell die sonst eher in tragischen Rollen präsente Corinna Kirchhoff als beachtliche Komödiantin bewährt. Um das zu beweisen, hätte man sie nicht die dumme „Erlkönig“-Parodie „Wer bröselt so spät durch die Nacht und hat Durst, es ist das Brötchen mit seiner Wurst“ aufsagen lassen müssen.

Hier hat offenkundig einer gefehlt, der kühn gestrichen und in diesem überbordenden und durchaus auch einfallsreichen Text die Spreu vom Weizen getrennt hätte. Das darf selbst bei Elfriede-Jelinek-Uraufführungen sein. Dem Premierenpublikum schien „Der Komet“ zu gefallen. Wie Tracy Letts „Eine Familie“ und Thomas Vinterbergs „Kommune“ erkundet diese Produktion Beziehungen zwischen Passion und Zerstörung, wobei sich im Amüsement jähe Abgründe öffnen. Das Beste an diesen Kreationen ist, dass sie heutig sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2012)

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