Kein Mr. Big und keine Manolo Blahniks für die „Girls“

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Die HBO-Serie „Girls“ hat das Zeug, zum neuen TV-Kult zu werden. Vier Mittzwanzigerinnen leben ohne Geld und festen Job im New York der Gegenwart – und haben unromantisch rohen Sex.

Das Leben in New York war vermutlich zu keiner Zeit besonders leicht. Daran haben Wirtschaftskrise, Mietexplosionen und Jobmangel wenig verändert. Doch geändert hat sich der Zugang der TV-Studios: Während Ende der 1990er-Jahre in der Serie „Sex and the City“ noch ein glitzerndes Großstadtmärchen erzählt wurde, das Frauen in London, Berlin oder Wien vermittelte, es sei keine Schande, nach teuren Schuhen und guten Orgasmen zu streben, während zuletzt die sexistische Werberwelt der 1960er-Jahre in „Mad Men“ verherrlicht wurde, hält nun sachlicher Realismus im Fernsehen Einzug.

Seit April läuft in den USA die von HBO produzierte Serie „Girls“ – sie hat das Zeug, zur nächsten Kultserie zu avancieren. Nicht nur, weil es darin wieder um vier Frauen in Manhattan geht, wurde seit Ausstrahlung der ersten Folge der Vergleich mit „Sex and the City“, ebenfalls von HBO, gezogen – sondern vor allem, weil die Geschichten rund um Carrie, Miranda und Co. der neuen Serie den Weg geebnet haben. Selten zuvor wurde so ungezwungen und wenig peinlich über Sex gesprochen, noch seltener über Sex aus rein weiblicher Sicht. Allerdings gehörten bei Carrie Bradshaw Zuckerguss, Weichzeichner und viel Champagner zum Repertoire – alles das fehlt der Serie „Girls“ völlig.

Die „Girls“ machen einen Schritt zurück

Hauptfigur Hannah, grandios erfunden und gespielt von Drehbuchautorin und Regisseurin Lena Dunham, und ihre Freundinnen Marnie, Jesse und Shoshanna haben einen anderen Zugang zum Thema: Sex wird grundsätzlich überbewertet. Die um mehr als zehn Jahre jüngeren „Girls“ machen im Vergleich zu den perfekt geschminkten „SatC“-Schwestern einen Rückschritt, den Feministinnen beklagen werden: Die Frauen holen sich nicht mehr selbstbewusst guten Sex von charmanten Männern, sondern lassen sich bereitwillig von egozentrischen Gleichaltrigen im Leben und im Bett an der Nase herumführen, als Masturbationsvorlage benutzen, oder sie bleiben aus Feigheit mit Männern zusammen, die sie langweilen. Sex ist weder schön noch romantisch, er ist roh, oft unbedarft – und dabei ziemlich ehrlich und realistisch.

Realistisch ist die Serie aber auch außerhalb des Schlafzimmers. Besonders treffend und zudem uneingeschränkt komisch ist der Auftakt in Folge eins: Hannahs Eltern sind auf Besuch in Manhattan. Nach dem Hauptgang im nobel abgedunkelten Restaurant erklären sie, ihre Tochter nicht mehr unterstützen zu können. Die fällt aus allen Wolken („Wisst ihr, wie verrückt die Wirtschaft gerade ist? Alle meine Freunde werden von ihren Eltern unterstützt.“) und appelliert an den elterlichen Beschützerinstinkt: „Wisst ihr, was für ein Glück ihr mit mir habt? Ich könnte drogenabhängig sein.“ Den Vater würde sie so umstimmen, doch die Mutter bleibt hart: „No more Money“, betont sie. „Ab wann?“, fragt Hannah. „Ab sofort“, sagt die Mutter. Zurück in der WG mit Freundin Marnie rechnet Hannah vor: „Ich kann mir New York für vier weitere Tage leisten – vielleicht sieben, wenn ich nicht mittagesse.“

Hannah (wie ihre fast gleichaltrige Schöpferin Dunham) hat das Potenzial, zur Heldin einer jungen, zwar gebildeten aber dennoch im Prekariat lebenden Generation zu werden. Leicht übergewichtig und wenig attraktiv, aber nicht weniger selbstverliebt und vorlaut. Mit 24 und einem Englisch-Studienabschluss arbeitet sie unbezahlt in einem Verlag, der sie mit dem Versprechen an sich bindet, ihr erstes Buch zu veröffentlichen. Hannah träumt zwar davon, Schriftstellerin zu werden und erklärt stolz: „Ich könnte die Stimme meiner Generation werden – oder zumindest eine Stimme einer Generation.“ Im Lauf der ersten Staffel, die der deutsche Pay-TV-Sender glitz* ab Mittwoch zeigt, dämmert ihr, dass das Amerika der Gegenwart längst nicht mehr eines der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Die Gleichaltrigen zahlen ihre Studienkredite ab und leben ziemlich angepasst und normal.

Doppelkinn und Speckrollen

Die sachlich-realistische Handlung wird durch die ziemlich authentische Ausstattung ergänzt. Die Kleidung in der Serie, die Ulf Poschardt in der „Welt am Sonntag“ als „tantigen Albtraum“ bezeichnet, ist nichts weniger als die Antwort auf die anhaltende Vorliebe zu Vintage-Mode. Der Stil liegt irgendwo zwischen schäbigem College-Schick und dem, was heute als „Hipster-Stil“ bekannt ist. Perfekt ist hier – ganz anders als beim Vorläufer „Sex and the City“ – nichts. Doppelkinn und Speckrollen werden ebenso gezeigt wie die unschönen Tattoos auf Hannahs Oberarmen. Wenn die besten Freundinnen zu ihren Lieblingssongs tanzen, sieht das nur dämlich aus. Das Fernsehen lässt diesmal die Schminke weg – und das sieht ziemlich gut aus.

„Girls“, ab 17. Oktober auf dem Pay-TV-Sender glitz*, 21.10 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2012)

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