Präsidentenfilme in der Warteschleife

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Können Filme das Wahlverhalten beeinflussen? Sicherheitshalber starten Spielbergs „Lincoln“ und Bigelows „Zero Dark Thirty“ erst nach der Wahl.

Wann immer Barack Obama einen Ort der Kontemplation im Weißen Haus sucht, wenn er nach Inspiration heischt, zieht er sich ins Lincoln-Zimmer zurück. Wie er in einem Interview preisgab, öffnet er dann eine Holzschatulle, um die „Gettysburg Address“ hervorzukramen – die wohl berühmteste Rede in der US-Geschichte, im November 1863 wenige Monate nach der blutigsten Schlacht des US-Bürgerkriegs vor den Gräbern von beinahe 50.000 Soldaten in Pennsylvania gehalten. Im Lincoln-Memorial in Washington sind die lediglich 272 Worte des Präsidenten in Marmor gemeißelt. Die Rede legte das Fundament für einen Neuanfang der Nation und ein Ende der Sklaverei.

Wie für viele Amerikaner gilt Abraham Lincoln auch für Barack Obama als der bedeutendste Präsident des Landes. Ihm ist er ein Vorbild – nicht nur, weil der Anwalt als Staatssenator in Illinois seine politische Karriere gestartet hat wie Obama, sondern weil er mit der Abschaffung der Sklaverei einen historischen Meilenstein gesetzt hat.

Am Freitag, drei Tage nach der Wahl, wird der mit Vorschusslorbeeren überhäufte und von Oscar-Geraune begleitete Film „Lincoln“, inszeniert von Obama-Fan Steven Spielberg, in den USA ins Kino kommen. Der Schauspieler Daniel Day-Lewis hat sich die hünenhafte Gestalt des Präsidenten mit bewährtem Method Acting angeeignet und blieb für die Dauer der Dreharbeiten, wie es heißt, in character. Für die Rolle des „Bill, the Butcher“ in Martin Scorseses „Gangs of New York“ hatte er das Schlachten gelernt, für „Der letzte Mohikaner“ baute er ein Kanu, in „The Boxer“ brach er sich die Nase. Eine Oscar-Nominierung ist Day-Lewis auch jetzt so gut wie sicher.

Heilender Effekt eines Films

„Ich glaube, das Timing ist genau richtig“, sagte Spielberg in der „Washington Post“. Die Erde werde noch von den Nachwehen der Wahl vibrieren. „Ich hoffe, der Film hat einen lindernden oder gar heilenden Effekt.“ Wäre der Film eine Woche früher gestartet, hätten manche sicherlich über verdeckte Wahlhilfe für Obama geunkt – nicht zuletzt deshalb, weil Spielberg einer der prononciertesten Demokraten Hollywoods ist. Dabei können die Republikaner Lincoln mit Fug und Recht für sich reklamieren. Er ging aus der republikanischen Partei hervor, die Demokraten standen damals in den Südstaaten auf der Seite der Sklaverei.

Das Genre des Präsidentenfilms reicht in die Stummfilmära zurück, es ist ein Lieblingssujet Hollywoods und hat zu jeder Zeit Konjunktur. Abraham Lincoln wandelte bereits viele Male über die Leinwand, am eindrucksvollsten verkörpert wohl 1939 von Henry Fonda in „Young Mr. Lincoln“ – zuletzt sogar als „Vampirjäger“ in einer Horror-Fantasy. Vor vier Jahren brachte der deklarierte Linksliberale Oliver Stone „W.“, einen Abgesang auf die Ära George W. Bushs, unmittelbar vor dem Wahltag in die Kinos.

Noch größere Bedenken hatten die Republikaner indessen wegen eines zweiten Politfilms. Die Premiere von „Zero Dark Thirty“, Kathryn Bigelows Dramatisierung der Kommandoaktion gegen Osama bin Laden, war ursprünglich für Oktober angesetzt. Die Opposition witterte ein Politikum, einen Propaganda-Coup des Präsidenten. Sie verdächtigte die Regierung schon vor den Dreharbeiten, die Regisseurin bei Recherchen unterstützt und ihr Zugang zum Pentagon und der Spezialeinheit Navy Seals eröffnet zu haben. Die Aktion ist als Geheimsache eingestuft, die Protagonisten sind an sich an eine Schweigepflicht gebunden – bis Mark Bisonnette im Herbst mit seinem Buch „No Easy Day“ den Ehrenkodex brach.

Das bange Warten im Situation Room

Um Bigelow zuvorzukommen, hat Hollywood-Mogul Harvey Weinstein – ebenfalls ein spendabler Obama-Gönner – ein TV-Doku-Drama über den Überraschungscoup gegen den Terrorpaten produziert, das schon am Sonntag ausgestrahlt worden ist. „Zero Dark Thirty“ hätte vermutlich tatsächlich einen kleinen Effekt auf die Wahl gehabt, weil er die Erinnerung an den größten außenpolitischen Erfolg Obamas weckt und an die Momente des bangen Wartens des Krisenkabinetts im „Situation Room“ des Weißen Hauses. Der Kinostart verzögerte sich allerdings, der Film wird jetzt kurz vor Weihnachten in den USA anlaufen – gerade rechtzeitig, um sich noch für Oscar-Nominierungen zu qualifizieren.

Ein anderer Oscar-Anwärter, mit Bill Murray in der Rolle von Franklin D. Roosevelt, startet ebenfalls noch vor Weihnachten: „Hyde Park on Hudson“, die Geschichte vom Treffen Roosevelts mit dem britischen König George VI. in seinem Privatdomizil am Hudson River in New York. Und im nächsten Jahr wird „The Butler“ (unter anderem mit Jane Fonda in der Rolle der Nancy Reagan) in die Kinos kommen, der das Präsidentenamt aus einer anderen Perspektive beleuchtet. Es ist die berührende Story des schwarzen Butlers Eugene Allen, der acht Präsidenten im Weißen Haus gedient hat und als Pensionist noch dem ersten schwarzen US-Präsidenten die Hand geschüttelt hat. Indessen hat unter afroamerikanischen Hollywood-Stars à la Will Smith & Co. das Ringen um die Poleposition für die Obama-Rolle begonnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2012)

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