Ägypter entscheiden über umstrittenen Verfassungsentwurf

Warteschlange vor dem Wahllokal in Kairo.
Warteschlange vor dem Wahllokal in Kairo.(c) EPA (KHALED ELFIQI)
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Die erste Wahlrunde hat begonnen. Die Bewohner von Kairo und Alexandria simmen ab. Am Freitag kam es erneut zu Ausschreitungen.

In Ägypten hat am Samstag das Referendum über den umstrittenen Entwurf für die neue Verfassung begonnen. Die Wahllokale öffneten um kurz nach 8 Uhr (Ortszeit, 7 Uhr MEZ) in den beiden wichtigsten Städten Kairo und Alexandria sowie in acht weiteren Provinzen, wie AFP-Reporter berichteten. Die Wahlberechtigten können bis 19 Uhr Ortszeit ihre Stimme abgeben. Der Rest des Landes wählt am 22. Dezember. Inoffizielle Ergebnisse der ersten Wahlrunde werden binnen Stunden nach Schließung der Wahllokale erwartet.

Insgesamt sind gut 51 Millionen Ägypter zur Stimmabgabe aufgerufen. Präsident Mohammed Mursi gab seine Stimme am Samstag in einer Schule im Kairoer Stadtteil Heliopolis ab, wie das Staatsfernsehen berichtete. Um Zusammenstöße zwischen Gegnern und Befürwortern zu vermeiden, sichern Polizei und Armee die Wahllokale ab.

Die Abstimmung gilt auch als Votum über Mursi, der aus den Reihen der islamistischen Muslimbrüder stammt und den im Eilverfahren verabschiedeten Verfassungsentwurf maßgeblich unterstützt hat. Im Streit um die Verfassung stehen sich die Anhänger der Islamisten und der säkularen Opposition gegenüber.

Islamisten gegen Liberale

Das umstrittene Dokument entstammt der Feder der Muslimbrüder. Auch die radikalen Salafisten haben daran mitgearbeitet. Die liberalen Parteien und die Linke wollen gegen die Verfassung stimmen, der ein islamisch-konservatives Weltbild zugrunde liegt.

Noch wenige Stunden vor Beginn des Referendums rief die Opposition die Wähler eindringlich dazu auf, mit Nein zu stimmen. Wer das Referendum boykottiere, spiele den Muslimbrüdern in die Hände, erklärte Naguib Sawiris, einer der erfolgreichsten Unternehmer des Landes, am Freitag über den Kurznachrichtendienst Twitter. Die revolutionäre Jugendbewegung 6. April kündigte an, sie werde ihren Protest auf dem Tahrir-Platz in Kairo beenden, um die Abstimmung nicht zu behindern. Sie rief die Bürger ebenfalls auf, gegen die Verfassung zu stimmen. Auch der frühere Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, appellierte in diesem Sinn an die Wähler.

Die liberalen Parteien bemängeln, dass die Gleichberechtigung der Frau in der Verfassung nicht explizit erwähnt ist. Außerdem sind sie gegen eine Ausweitung der Macht der Religionsgelehrten auf Kosten der Justiz. Die linken Parteien kritisieren, dass die Verfassung die Gründung unabhängiger Gewerkschaften verbiete und dass sich die Löhne der Arbeiter an der Produktivität und nicht an den Unternehmensgewinnen orientieren sollen.

Der Vorsitzende der Partei der Muslimbruderschaft, Saad al-Katatni, erklärte nach Angaben lokaler Medien, wer für die Verfassung stimme, sei "für die Herrschaft des Volkes". Dem Islamisten Mohammed al-Sawahiri dagegen geht der Entwurf für die neue Verfassung noch nicht weit genug. Der Bruder des Al-Kaida-Anführers Eiman al-Sawahiri riet seinen Landsleuten deshalb, nicht an dem Referendum teilzunehmen. Er sagte der ägyptischen Tageszeitung "Al-Watan" (Freitag): "Der einzige Souverän ist Gott und niemand sonst."

Tränengas gegen Demonstranten

Am Freitag hatten Islamisten und ihre Gegner noch einmal ihre Anhänger mobilisiert. Vor dem Referendum über den umstrittenen Verfassungsentwurf in Ägypten hat die Polizei bei Zusammenstößen mit Oppositionsanhängern in der Küstenstadt Alexandria Tränengas eingesetzt. Mindestens 15 Menschen wurden am Freitag verletzt, mehrere Autos in Brand gesteckt, wie Augenzeugen berichteten. Die Demonstranten belagerten seit Stunden eine Moschee, in der ein Prediger zur Abstimmung für den Verfassungsentwurf aufgerufen hatte. Verhandlungen der Polizei, die die Demonstranten dazu bringen wollte, sich zurückzuziehen, schlugen laut Augenzeugen fehl.

Zuvor hatten sich in Alexandria bereits Anhänger der Islamisten und der säkularen Opposition mit Steinen beworfen. In der Hauptstadt Kairo versammelten sich mehr als 2000 Anhänger des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi vor einer Moschee, um ihre Zustimmung zu dem Entwurf auszudrücken.

In Kairo hatte es vergangene Woche bei Protesten gegen das Verfassungsprojekt vor dem Präsidentenpalast blutige Zusammenstöße mit Islamisten gegeben. Acht Menschen wurden dabei getötet, hundert weitere verletzt. Der Palast wird seitdem von Panzern der Präsidentengarde bewacht. Für die Abstimmung am Samstag wurden 120.000 Soldaten zur Unterstützung der Polizei mobilisiert.

(APA/AFP/dpa)

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