Internationaler Kunstzirkus: Wir können getrost zu Hause bleiben, fast

Die Höhepunkte des internationalen Kunstjahres sind heuer überschaubar: Die Biennale Venedig gehört dazu. Und die Wiedereröffnung des Rijksmuseums Amsterdam.

Kein Wahlrecht für Erdbeeren 2013! Die Vorfreude und das Spektakel der Documenta 13, so schräg ihre Forderungen u. a. auch waren, dominierten die letzten Jahre. Jetzt ist sie vorbei, Kassel liegt wieder im soliden Mittelfeld der deutschen Kunstprovinz – aber nach der Documenta ist vor der Documenta, immerhin, nur noch vier Jahre to go ab jetzt...

Die Biennale Venedig tröstet uns über das sich – auch international – ein wenig trist anlassende neue Ausstellungsjahr zumindest hinweg: Von 1. Juni bis 24. November darf die „sophisticated crowd“ der internationalen Kunstszene sich wieder über die Jachten der superreichen Oligarchensammler mokieren, die vor dem Ausstellungsgelände, den Giardini, vor Anker liegen. (Auf die Dutzenden Parties und Empfänge auf den Jachten und in den Palazzi schnorrt man sich natürlich trotzdem ein.) Kunst und Kapital, das wird und will sich auch 2013 nicht trennen lassen. Was sich nicht zuletzt in Venedig wieder einmal zynisch manifestieren wird.

Auf ein bisschen Zynismus lässt die kuratorische Direktion von Massimiliano Gioni hoffen, Italiens ehemaligem Wunderkind im Kunstzirkus. Anfang 20 startete Gioni im Parallelslalom mit dem Künstler Maurizio Cattelan eine internationale Kuratorenkarriere. Mit Ende 30 hat er den Homerun geschafft und ist an der Spitze angelangt, fehlt nur noch die Documenta-Leitung, wer weiß...


Der Enzyklopädische Palast. Das von Gioni ausgegebene Thema ist so poetisch wie offen: „Der Enzyklopädische Palast“ heißt es und bezieht sich auf den Titel eines Symbols des Futurismus der 1950er-Jahre, das 136 Stock hohe Architekturmodell eines zylindrischen Wolkenkratzers von Marino Auriti, gedacht für die Nationalpromenade in Washington. „Es geht um den verrückten Traum, der sich zwischen Wissen und Wahnsinn befindet, zwischen Bild und Einbildung“, wird Gioni dazu zitiert. Hohe Erwartungen, die er in diese, „seine“ Biennale setzt.

Österreich schickt in das Ländermatch in die Giardini den in Los Angeles lebenden Konzeptkünstler Mathias Poledna, Nationaltrainer respektive „Kommissär“ ist Jasper Sharp, Kurator fürs Zeitgenössische im Kunsthistorischen Museum. Ein Goldener Löwe ist für den besten nationalen Pavillon zu gewinnen. Heuer neu im Bewerb dabei sind übrigens acht Länder, es wird immer unübersichtlicher, es sind um die 80 mittlerweile: Die Bahamas, Bahrain, der Kosovo, Kuwait, die Malediven, die Elfenbeinküste, Nigeria und Paraguay sind die Eleven dieser 55. Ausgabe, für die ein neuer Spielort, ein Palazzo am Canal Grande, reserviert wurde.

Betrachtet man den zweiten Hotspot dieses Kunstjahres, kann man ob der Achse fast sentimental werden: Italien–Niederlande, das ist zumindest heuer wieder ein unentschiedenes kunsthistorisches Match!

Amsterdam darbte die letzten zehn Jahre nämlich noch schlimmer als Wien – man stelle sich nur vor, dass zehn Jahre lang das Kunsthistorische Museum geschlossen und renoviert werden würde, nicht nur die Kunstkammer. Zehn Jahre lang ist mittlerweile aber auch das Rijksmuseum schon geschlossen, in denen das in den 1880er-Jahren gebaute Nationalmuseum von den spanischen Architekten Antonio Cruz und Antonio Ortiz auf den neuesten Stand gebracht wurde.

Am 13.April wird es wiedereröffnet. Motto: „Alles ist neu hier!“ Bis auf Rembrandts „Nachtwache“, die Ikone des Hauses, die damit wieder an ihren alten Platz zurückkehrt.

Es gibt einen neu gestalteten Garten und einen neuen Asiatischen Pavillon für die Asien-Sammlung. Im generalsanierten Hauptgebäude werden rund 8000 Exponate nicht nur die Entwicklung der niederländischen Kunst, sondern auch die Landesgeschichte erzählen, vom Mittelalter bis heute. Ein weiterer Anreiz: Man hält 365 Tage im Jahr offen, als „einziges großes Nationalmuseum weltweit“, täglich von 9 bis 17 Uhr. Bis 17. März sind die Hauptwerke des Rijksmuseums noch im Behelfs-Schauraum, dem Philips-Flügel, zu sehen.

Größere Kunstreisen stehen heuer aber nicht auf dem Pflichtprogramm, in New York etwa fährt man ein für uns wenig attraktives Programm, selbst im Museum of Modern Art ist mit Claes Oldenburg eine Ausstellung zu sehen, die wir in Wien schon als Erste genießen durften. Im Metropolitan Museum zeigt man die Ausstellung über Mode und Impressionismus, die alle interessierten Europäer bereits im Musée d'Orsay vorfanden. Im Guggenheim New York entdeckt man zumindest die japanischen Vor-Aktionisten, die in den 1950er- und 1960er-Jahren aktive Gutai-Gruppe, die man gerade in Wien auch gern einmal ausführlicher vorgestellt bekommen würde (15. 2. bis 8. Mai).

Pompeji in London. Ins British Museum lockt eine große Pompeji-Ausstellung (28. März bis 29. September). Die Tate Modern dagegen spult mit einer Roy-Lichtenstein-Retrospektive als Highlight schon fast eine Art Pflichtprogramm herunter. Interessant könnte in der Royal Academy eine Manet-Ausstellung werden (26. Jänner bis 14. April). „Manet: Portraying Life“ ist die erste große Ausstellung in England, die Manets Porträtkunst zum Thema hat. Immer an der Themse beheimatet, mit traurigem Blick, ist Manets Bardame in den Folies-Bergère, nämlich im Courtauld Art Institute, das heuer „Becoming Picasso“ erklärt. Ebenfalls auf diesen Namen setzt das Basler Kunstmuseum, das die wichtigsten Picassos aus stadteigenen Privatsammlungen hervorgelockt hat.

Im Louvre huldigt man heuer hauptsächlich der Entwicklung der Kunst Deutschlands, von der Romantik bis zur Neuen Sachlichkeit: „De l'Allemagne“ zeigt 200 Werke von Caspar David Friedrich bis Max Beckmann. (28. März bis 24. Juni). Im Museum Scuderie del Quirinale in Rom beackert man nach Vermeer ein weiteres Mal Tizian (1. März bis 16. Juni).

Nicht einmal für eine ordentliche Yoko-Ono-Retrospektive müssen wir heuer nach Frankfurt in die Schirn fahren, sie kommt auch in die Kunsthalle Krems. Die Schirn hat dafür eine der spannendsten Themenausstellungen des Jahres parat. „Letzte Bilder. Von Manet bis Kippenberger“ (28. Februar bis 2. Juni) versammelt gefeierte wie zweifelhafte Spätwerke, kein leichtes Unterfangen für einen Kurator. Doch das in Künstlerpaare eingeteilte Ergebnis ist spektakulär und führt wieder zu Manet: Er malte noch auf dem Sterbebett 17 kleinformatige Blumenstillleben als Abschiedsgrüße an seine Freunde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.01.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.