Prokrastination: Morgen, morgen, nur nicht heute...

(c) Erwin Wodicka wodicka aon at (Erwin Wodicka)
  • Drucken

Zahlreiche Studenten leiden an zum Teil krankhafter Aufschieberei, gefährden damit Erfolg und Selbstbewusstsein. Strategien und Forschung versprechen Hilfe.

Der eine ordnet den aufgeräumten Schreibtisch um, der andere surft wie manisch im Internet, und der Dritte schaufelt zum dritten Mal die Woche Schnee. Zeit dafür haben sie eigentlich nicht: Sie sollten ganz andere Arbeiten erledigen, ungleich dringendere – für eine Prüfung lernen, eine Masterthesis schreiben oder eine Publikation verfassen. Doch weil sie sich nicht dazu überwinden können, anzufangen, vertrödeln sie die immer kürzer werdende Zeitspanne mit Ersatzhandlungen, „die nur relativ angenehmer sind als die aufgeschobenen Tätigkeiten und häufig mit einem schlechten Gewissen verbunden“, so die Psychologin Anna Höcker von der Prokrastinationsambulanz der Universität Münster. „Sie wollen die Arbeiten ja erledigen, aber sie schaffen es einfach nicht.“

Störung oder Faulheit?

Denn das Aufschieben von wichtigen Arbeiten ist nicht immer lässige Faulheit, es kann auch eine Störung der Selbststeuerung dahinterstecken. Mit guten Vorsätzen ist das Problem dann nicht zu lösen, die Ursachen liegen tiefer.

„Oft steht hinter der Aufschieberei auch ein überhöhtes Selbstbild – man glaubt, besonders toll zu sein, in besonders kurzer Zeit alles wieder an Lernstoff einzuholen und Ähnliches“, so Franz Oberlehner, Leiter der Psychologischen Studentenberatungsstelle an der Universität Wien. „Wenn man sich aber an die Arbeit machen würde, könnte man darauf kommen, dass man gar nicht so super ist, sondern nur ,eh einigermaßen gut'. Das ist schwer zu akzeptieren, und so wird das Erledigen der Arbeit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.“ Auch eine Depression oder ADHS können dahinterstecken. Wichtig ist also, Hilfe zu holen, wenn sich am Zustand trotz Bemühung nichts ändert.

Ursachen aufdecken

Der Lebens- und Sozialberater Peter Jelinek empfiehlt ebenfalls, die Symptome abklären zu lassen. „Eine Beratung oder ein Coaching ist keine Therapie.“ Die Ursachen dafür, bei einer Aus- oder Weiterbildung durch Aufschieberei nicht weiterzukommen, seien zudem vielfältig. „Man muss genau analysieren, was dahinter steckt. Am häufigsten sind Überforderung, falsche Zielsetzung oder ein Nutzen aus dem Istzustand. Und je nachdem muss man unterschiedliche Schritte setzen.“ Manch einer wolle gar nicht fertig werden, weil er etwas studiere, das ihn eigentlich gar nicht (mehr) interessiert. Hemmend seien auch Befürchtungen, dass nach dem Abschluss große Herausforderungen wie Jobsuche auf einen zukommen, denen man sich nicht gewachsen fühle.

Strikte Grenzen ziehen

Oberlehner empfiehlt seinen Klienten, vor allem realistisch zu bleiben. Wer schon lange nicht mehr am Schreibtisch gelernt hat, wird selten gleich fünf Stunden durchhalten – eine Zeit, die üblicherweise als sinnvolles Tagespensum gesehen wird. „Da ist es vielleicht besser, mit einer Stunde zu beginnen“. Ebenso wichtig ist es auch, eine motivationsunabhängige Arbeitsstruktur zu entwickeln, sich nicht aus einem Gefühl heraus an die Arbeit zu machen, sondern „wie zu einem Termin im Job, der fix vereinbart ist und einfach eingehalten wird“. Wichtig sei, eine strikte Grenze zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen, und die Freizeit dann zu genießen. „Aber auch die vereinbarte Arbeitszeit muss eingehalten werden.“ Und das heißt, auch dann am Schreibtisch oder in der Bibliothek zu bleiben, wenn einem nichts einfallen will. Oberlehner empfiehlt, in diesem Fall ein „Grübelbuch“ zu führen, also auf einem Blatt Papier die Gedanken festzuhalten, die einem durch den Kopf gehen.

Auch an der Prokrastinationsambulanz der Universität Münster setzt man bei der Behandlung von Prokrastination auf die strikte Trennung von Arbeit und Freizeit. Doch nicht nur: Das Thema wird auch erforscht, um neue Behandlungsmethoden entwickeln zu können. Kürzlich wurde dazu eine Studie über Arbeitszeitverkürzung erstellt (siehe unten). „Die Ergebnisse sind erfreulich, und die Betroffenen profitieren“, resümiert Höcker.

Begriffe

Aufschieberei: weitverbreitete Strategie, Unangenehmem aus dem Weg zu gehen. Laut Umfrage der Prokrastinationsambulanz München kennen nur 1,5 Prozent der Studenten dieses Verhaltensmuster an sich gar nicht.

Prokrastination: eine Störung der Selbststeuerung, bei der wichtige und dringende Arbeiten aufgeschoben und stattdessen Ersatzhandlungen wie Hausarbeit getätigt werden. Rund zehn Prozent der Studenten sind davon betroffen.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER

www.studentenberatung.at

www.jelinek-akademie.at

www.sy.uni-muenster.de/Prokrastinationsambulanz/

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Weiterbildung

Forschung & Hilfe: Ambulanz für Aufschieber

Die Prokrastinationsambulanz Münster beschäftigt sich seit 2006 mit dem leidvollen Aufschieben. Hilfe für Betroffene wird wissenschaftlich ausgewertet.
Weiterbildung

Buchtipps: Lesen statt prokrastinieren

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung: Lektüre zum Thema Aufschieben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.