Parlamentswahl: Ein Komiker als Held der Wutbürger Italiens

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Der italienische Bühnenstar Beppe Grillo zündet rhetorische Sprengsätze gegen das Land: Er schimpft auf das Establishment, fordert eine „Internetdemokratie“ und duldet intern keinen Widerspruch.

Rom. „Regnet es? Klar, kann nicht anders sein, bei dieser Regierung.“ Wenn Beppe Grillo auf die Bühne stürmt, mit seiner grauen Lockenmähne, unter den hämmernden Akkorden von „I feel good“, dann hat er sofort die Lacher auf seiner Seite. Die Verbitterten auch, die Wütenden. Und eine Sekunde später die Theoretiker des Weltuntergangs. Den ganzen Platz, mit anderen Worten. Die 1500, die an diesem nasskalten Jännerabend auf dem Rathausplatz von Pomezia, südlich von Rom, extra für den Star frieren. Und jene Million von Internetfans, die lieber am Computer im gewärmten Zuhause mitverfolgen, wie ihr „Detonator“ wieder einmal seine rhetorischen Sprengsätze gegen Italien zündet.

„Die Nation ist gescheitert! Das Land gibt es nicht mehr! Diese Leute da haben alles zerstört!“ Beppe Grillo redet sich in Rage; wild fegt er über die Bühne; von der ersten Sekunde an schreit er, strapaziert seine Stimme, bis sie vor Heiserkeit schier versagt. Das ist Grillos Markenzeichen. Das ist sein „Krieg“ gegen Italiens Parteien – „gegen dieses Scheißland“, ruft einer aus dem Publikum dazwischen –, gegen die Abgeordneten, die Regierenden, gegen die, die „nichts kapieren und die tot sind, ohne es zu merken“. Und mit dem Eisregen rauscht der Applaus auf, als Grillo wütet: „Ich habe ein einziges Programm: Schicken wir sie alle nach Hause! Alle!“

Beppe Grillo (64) ist das Phänomen der italienischen Politik. Oder der Antipolitik. Die Show zur Show. Der Mann, der als gelernter Buchhalter seinen Job verfehlt, dafür aber als Bühnenstar sein Publikum immer schon im Griff hatte – von den Genueser Kleinkunst-Lokalen seiner Jugend bis hin zu den Legende gewordenen Fernsehabenden der Achtzigerjahre. Bis zum Rauswurf. Weil er sich auf politische Satire verlegt hatte.

„Ich bin ein Tsunami“

Das störte Grillo nicht. Mit seinen Bühnentourneen wurde er auch so vielfacher Millionär. Als er vor nicht einmal zehn Jahren das Potenzial des Internet entdeckte, begann das Leben des Politikers: „Noch immer nennen sie mich einen Komiker?“, wundert er sich: „Ein Tsunami bin ich!“ Aus seinem Internetblog heraus ballt Grillo die Fans zu plätzefüllenden Massen: Bei den „Vaffa-Days“ 2007 und 2008 strecken sie zu Hunderttausenden der herrschenden „Kaste“ Italiens den Mittelfinger entgegen. Im Oktober 2009 gründete Grillo die „Fünf-Sterne-Bewegung“. Im Frühjahr 2012 ging diese siegreich aus den Kommunalwahlen hervor. Im Oktober wurde sie – vor den Sozialdemokraten und Berlusconis Partei – stärkste Fraktion in Siziliens Landtag.

Und heute – „Stalingrad haben wir erobert, jetzt geht's Richtung Berlin“ – setzt Grillo zur Eroberung des Parlaments an. Am 24. und 25. Februar sind Wahlen, mit 14 Prozent der Stimmen kann der „Movimento 5 Stelle“ laut Umfragen rechnen. Grillo könnte Zünglein an der Waage werden.

Mit „Stahlhelm“ gegen Regierung

Dabei hält er vom Parlament eigentlich nichts. Hintermann seiner „Fünf-Sterne-Bewegung“ ist der Mailänder Internet-Unternehmer Gianroberto Casaleggio. Ein Herz und eine Seele seien die beiden, heißt es – vor allem in ihrer Forderung nach „Demokratie 2.0“: Die repräsentative Demokratie sei überholt, das Internet erlaube die Beteiligung aller. Wobei natürlich – aber das ist in Italien noch niemandem aufgefallen – Grillos klassische, konservative Wahlkampftour im Widerspruch zu einer Internetdemokratie steht. Einigen der eigenen Leute, die sein „diktatorisches Alleinregime“ kritisierten, den „Personenkult“, das „Scientology-ähnliche Binnenklima“, schrieb Grillo eine Zwei-Zeilen-E-Mail mit ihrer Entlassung: „Wir sind im Krieg. Wir haben den Stahlhelm auf. Wer Probleme hat mit der Demokratie in unserer Bewegung, der verschwinde. Raus!“

Bunte Fangemeinde

255.000 Namen stehen auf der Mitgliedsliste der Fünf-Sterne-Bewegung. Wer Grillos Leute sind, wird deutlich, als sich auf der Wahlkampfbühne von Pomezia die Ortsgruppe vorstellt: junge Frauen und Männer, Studenten, Computerfachleute, Umweltaktivisten. Eine kommunal hoch engagierte Mischung von Basis-Grünen und Piraten. „Seht her“, ruft einer von der Bühne hinab, „jeder kann sich an der Politik beteiligen und zur Verbesserung unserer Lebensbedingungen beitragen.“

Grillo selbst gibt den Radikalpopulisten, fordert „Bürgergeld für alle“, zu holen durch Einsparungen bei den Politikergehältern; „volle und kurze Arbeit für alle“ auf der Basis einer 25-Stunden-Woche. Nach einer Dreiviertelstunde schließt er die Versammlung mit einer Formel, wie sie – so ähnlich – auch Priester am Ende der Messe ihren Gläubigen zurufen: „Geht hin und verbreitet die Botschaft.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2013)

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