Das Konzept der digitalen Nachhaltigkeit

Karin Lohberger
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Digitalisierung und Umweltschutz müssen keinen Widerspruch darstellen, die digitale Transformation kann einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten – indem sie Wissen frei verfügbar macht.

Wenn es darum geht, Nachhaltigkeit mit digital getriebenen Maßnahmen zu erreichen, bei denen auf einen offenen, kostenlosen Zugang zu Daten gesetzt wird, dann gilt Digital Earth Africa gilt als Musterinitiative. „Der freie Zugang zu und die langfristige Weiterentwicklung von Digitaltechnologien wie Daten, Software oder Modellen der künstlichen Intelligenz sind heute elementare Grundlagen für die nachhaltige Entwicklung“, sagt dazu Matthias Stürmer, Leiter des Instituts für Public Sector Transformation an der Berner Fachhochschule, BFH. Stürmer spricht vom Konzept der digitalen Nachhaltigkeit, das die freie Verfügbarkeit von Wissen aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung nicht mehr nur als Mittel zum Zweck, sondern als eigenständige, schützenswerte Ressource versteht.

Welche Voraussetzungen notwendig sind, um digitale Wissensgüter als „nachhaltig“ zu qualifizieren, wurde bereits vor einigen Jahren im Nachhaltigkeitsjournal „Sustainability Science“ systematisch dargestellt. So müssen digital nachhaltige Güter einerseits qualitativ ausgereift, sicher, verständlich, fehlerfrei und datenschutzkonform verfügbar sein. Andererseits ist die Transparenz der technologischen Grundlagen wie Quellcode, Spezifikation oder Rohdaten eine Voraussetzung. Bei Daten ist des Weiteren eine semantische Verknüpfung erforderlich, damit das digitale Wissen maschinell weiterverarbeitet werden kann. Daten und Systeme müssen dezentral redundant gespeichert sein beziehungsweise betrieben werden, damit keine Daten verloren gehen und die Plattformen ununterbrochen funktionieren können. „Eine weitere Voraussetzung für digital nachhaltige Güter ist die rechtliche Grundlage, eine ,offene Lizenz‘, damit trotz Urheberrechtsschutz die Applikationen und Daten uneingeschränkt genutzt, verbreitet und weiterentwickelt werden dürfen. Und neben dem expliziten Wissen muss auch das implizite Wissen auf möglichst viele Menschen aus unterschiedlichen Organisationen verteilt sein, um Wissensabhängigkeit zu vermeiden“, betont Stürmer. Verbesserungen müssen fortlaufend von allen fähigen Personen beigetragen werden können. Die Führung (Stichwort Governance) soll auf eine faire, transparente und effiziente Weise ausgestaltet sein, sodass es zu keinen Aufspaltungen der Community kommt. Die Finanzierung muss auf unterschiedliche Quellen verteilt sein, damit keine ökonomischen Abhängigkeiten ent­stehen.

Neue Aspekte der digitalen Nachhaltigkeit

Für Stürmer hat das bereits 2017 entwickelte Konzept der digitalen Nachhaltigkeit heute noch seine Gültigkeit, wenn auch neue Aspekte aufgrund der rasanten technologischen Entwicklung laufend hinzukommen: „So schafft beispielsweise die stetig wachsende Anzahl frei verfügbarer digitaler Wissensgüter unterdessen auch ökologische Vorteile: Open-Source-Software, die schon mal programmiert wurde, kann auf GitHub wiederverwendet werden und spart so Arbeitszeit und damit Energieverbrauch aller beteiligter Personen. Oder komplexe Modelle für maschinelles Lernen, für deren Berechnung enorme Mengen an Strom und Serverkapazitäten (graue Energie für Hardware-Herstellung) benötigt werden, können bei freier Zugänglichkeit weiterverwendet werden, ohne dass die Trainingsdaten erneut von Grund auf verarbeitet werden müssen.“

Die Digital Public Goods

Digitalisierung und Umweltschutz müssen demnach keinen Widerspruch darstellen und die digitale Transformation kann laut Stürmer einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten: „Es gibt viele sinnvolle Möglichkeiten für den nachhaltigen Einsatz von Digitaltechnologien. Beispielsweise werden unter dem Begriff Smart Farming Hardware, Software und Daten für die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft genutzt. So ist es möglich, mittels Sensoren bzw. des Internet of Things, Open Government Data wie Wetterdaten und Data Science zum Beispiel den Düngemittelverbrauch zu reduzieren oder sparsamer zu bewässern.“ Stürmer, der seit 2009 Geschäftsführer der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit in der Schweiz (Parldigi) und Präsident des Open-Source-Fördervereins CH Open ist, nennt als weiteres Beispiel Smart-Energy-Technologien, die für die Anpassung des Stromverbrauchs an die aktuellen Wetterbedingungen Sorge tragen: „Dadurch kann etwa das Auto in der Garage geladen werden, wenn gerade die Sonne scheint und Solarstrom auf dem eigenen Dach produziert wird.“ Insgesamt bieten die von den Vereinten Nationen definierten Digital Public Goods laut Stürmer eine praktische Anleitung, wie Software, Daten, Modelle der künstlichen Intelligenz und weitere digitale Güter für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele eingesetzt werden können: „Durch den Digital-Public-Goods-Standard ist festgelegt, dass mindestens eines der Nachhaltigkeitsziele direkt adressiert werden muss. Im entsprechenden Online-Verzeichnis sind aktuell, also Stand Februar 2023, insgesamt 139 anerkannte Digital Public Goods erfasst.“

Blauer Engel für Software

Dass bei der Software-Entwicklung die Einhaltung von Umweltkriterien eine zunehmende Rolle spielt, zeigt etwa in Deutschland das neue Zertifikat „Blauer Engel für Software“. Ziel des Umweltzeichens für ressourcen- und energieeffiziente Softwareprodukte ist es, den Energieverbrauch der Informations- und Kommunikationstechnik insgesamt zu reduzieren und die Ressourceneffizienz zu steigern: „Mit dem Erwerb einer Software, die mit dem Blauen Engel ausgezeichnet ist, haben die Konsumenten und die öffentliche Beschaffung die Gewissheit, dass die Software besonders sparsam mit den Hardwareressourcen umgeht und in ihrer Nutzung energiesparsam ist“, heißt es im Deutschen Umweltbundesamt. Aufgrund geringerer Leistungsanforderungen könne die Hardware länger genutzt werden. Darüber hinaus zeichne sich die Software durch eine hohe Transparenz aus und ermögliche Nutzenden besondere Freiheiten im Umgang mit der Software.

2022 wurde erstmalig das neue Zertifikat vergeben. Die Auszeichnung ging an den Open-Source-PDF-Reader Okular – was die Meinung zahlreicher Experten bestätigt, dass dem Einsatz von Open-Source-Software eine entscheidende Bedeutung im Rahmen einer digitalen Nachhaltigkeit zukommt. „Es freut mich sehr, dass Bestrebungen für mehr Klimaschutz und ressourcenschonende Software ausgerechnet aus der Open-Source-Community kommen. Uns eint unter anderem der Wunsch, Wissen zu teilen und mit unserer Software und unseren Innovationen auch zu einer besseren und nachhaltigen Gesellschaft beizutragen“, sagt Torsten Frenzel, Sprecher der Working Group Public Affairs bei der OSB Alliance. Der Bundesverband für digitale Souveränität vertritt über 200 Mitgliedsunternehmen der Open-Source-Wirtschaft, die in Deutschland laut OSB gemeinsam jährlich mehr als 1,7 Milliarden Euro erwirtschaften.

Das ökologische Potenzial von Open Source

„Es ist bei Open Source üblich, modular zu entwickeln und sich die Funktionalitäten zusammenzustellen, die man braucht – anstatt ein großes ressourcenhungriges Programm laufen zu lassen, von dem man dann vielleicht gerade nur einen kleinen Teil der Funktionalitäten nutzt. Ich hoffe, dass wir in den kommenden Jahren das ökologische Potenzial von Open Source noch weiter ausschöpfen und noch mehr Open-Source-Software-Lösungen mit dem Blauen Engel ausgezeichnet werden“, so Frenzel. Open Source Software könnte so einen weiteren Vorteil gegenüber proprietärer Software gewinnen. Denn sowohl Hersteller als auch Nutzende werden in Zukunft ein immer stärkeres Augenmerk auf den Energieverbrauch von Softwareprodukten legen, nicht nur, um Rechenzentren umweltfreundlicher zu betreiben. Eine energiesparende und die Nutzungsautonomie garantierende – und dementsprechend zertifizierte – Lösung sollte langfristig einen Wettbewerbsvorteil gegenüber einem ressourcenhungrigen Programm generieren.

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