Mode 4.0 – Nachhaltig dank Digitalisierung

Bim
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Ein T-Shirt hat bis zum Kauf oft die halbe Welt gesehen. Was sich wie die Route eines Rucksacktouristen anhört, ist der ganz normale Wahnsinn bei der Herstellung von Kleidung. Es geht auch anders.

Im US-Bundesstaat Virginia wird zunächst die Baumwolle geerntet, getrocknet, gekämmt und gewaschen. Zu Ballen gepresst wird die watteähnliche Faser anschließend in das viele Tausend Kilometer entfernte türkische Bursa verschifft. Dort wird die Baumwolle erneut gewaschen, gestriegelt, kardiert und dann zu einem Garn gesponnen. Dieses Garn wird in Containern nach Hanoi in Vietnam gebracht, wo es zu einem Stoff verarbeitet wird. Nun geht es weiter nach China, zum Beispiel in die östliche Provinz Shaoxing. Dort wird der Stoff zuerst gebleicht und dann gefärbt. Und weiter geht die Reise: Der Stoff wird erneut verschifft und in Dhaka in Bangladesch zu einem einfarbigen T-Shirt ohne jedes Druckmotiv und Aufschrift genäht. Von dort geht es schließlich auf Schiffen und Lastwagen nach Österreich, wo das T-Shirt auf Wiens längster Einkaufsstraße den Konsumenten zum Kauf angeboten wird. Diese lange Reise von mehr als 30.000 Kilometern rund um die Welt wird Lieferkette oder Wertschöpfungskette genannt. Sie ist das wesentliche Merkmal der globalen Arbeitsteilung. Diese Globalisierung verschafft Menschen in den asiatischen Produktionsländern Arbeit und Geld. Uns Europäern verhilft sie zu so gut wie allen billigen Kleidungsstücken, die wir tragen.

Zwei Drittel bleiben ungenutzt

Man kann diese Entwicklung gut oder schlecht finden. Klar ist: Nachhaltig ist sie nicht. Immer wieder werden große Mengen Wasser bei der Herstellung eingesetzt und verschmutzt; die Transporte von einem Land ins andere verursachen hohe CO2-Emissionen; und die schlechten und teils gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen in den Fabriken in Fernost würden wir bei uns in Österreich nicht tolerieren. Seit die Textilindustrie aus Europa abgewandert ist und sich an Orten mit niedrigeren Löhnen und Umweltstandards angesiedelt hat, sind die Preise für Bekleidung deutlich gesunken. Die produzierten Mengen ihrerseits sind erheblich angestiegen. Eine Entwicklung, die durch den Trend der „Fast Fashion“ – schnell angefertigte und nur kurz erhältliche Kollektionen, meist aus erdölbasierten Fasern – zu ihrer Perfektion gelangt ist. Jährlich werden so mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke produziert. Nur zwei Drittel davon werden verkauft, wovon wiederum nur die Hälfte überhaupt getragen wird. Rund zwei Drittel der produzierten Kleidungsstücke werden also gleich nach der Produktion oder später verbrannt oder landen auf Müllhalden. So verschmutzt der ungenutzte Teil der Produktion die Umwelt durch Emissionen in die Luft und durch Belastung des Wassers.

Wie geht überprüfbare Nachhaltigkeit?

Viele Konsumenten wissen nach jahrelangen Diskussionen immer noch nicht, welchen Schaden ihr Kaufverhalten anrichtet. Aber die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit wächst und wächst. Und umweltbewusste Konsumenten sind von dieser Art der „Wertschöpfung“ zunehmend irritiert. Sie fordern nachhaltig produzierte Waren. Und sie wollen sicher sein, dass entsprechende Angaben auf den Etiketten der Kleidung stimmen und nicht nur Werbung und Greenwashing ohne Substanz sind. Unternehmen sehen sich vom Druck der Konsumenten gefordert. Auch NGOs haben das Thema vor einigen Jahren für sich entdeckt und verstärken den Druck auf die Herstellerfirmen. Immer mehr Modemarken wollen daher ihren Kunden überprüfbare Nachhaltigkeit in der Lieferkette als Kaufargument bieten. Doch wie soll das gehen?

Blockchain ist die Lösung

Die Lösung dieses Problems liegt in der Digitalisierung. Sie schafft durch Nach- und Rückverfolgbarkeit Transparenz und Sicherheit über die Rohstoffe, Produktionsvorgänge und den gesamten ökologischen Fußabdruck von Produkten. Schon seit vielen Jahren werden sogenannte RFID-Chips (Radio Frequency Identification oder Funkerkennung) zur Nachverfolgung von Warenströmen eingesetzt. Doch nun etabliert sich eine neue Technologie mit vielfältigeren Einsatzmöglichkeiten: Die Nachverfolgbarkeit mittels Token in der Blockchain. In diesem von vielen Nutzern gemeinsam verwendeten Register für die Aufzeichnung von Transaktionen kann die Reise eines Kleidungsstückes vom Rohstoff bis ins Geschäft nachverfolgt bzw. rückverfolgt werden. Da die Blockchain nachträglich nicht geändert werden kann, sind die Informationen, die parallel zum physischen Produkt mitgeschickt werden, nicht veränderbar oder fälschbar.

Bündel von Rechten und Pflichten

Die Technologie ist am Beispiel des Start-ups TextileGenesis einfach erklärt: Jedem Kilo Faser (z. B. Baumwolle, Viskose, Polyester), das vom Produzenten zur Spinnerei geschickt und dann die gesamte Lieferkette entlang weiterverarbeitet wird, wird parallel in der Blockchain ein Token mitgegeben. Im konkreten Fall handelt es sich um den Token der Ethereum-Blockchain, die in vielen industriellen Projekten verwendet wird. Ein Token ist ein elektronisches Bündel von Rechten und Pflichten und damit auch ein digitaler Vermögenswert, beispielsweise mit dem Recht am Besitz eines Kilos an Fasern. Man bezeichnet die Tokens auch als „smart contracts“. Jedes an der Produktion einer Textilie beteiligte Unternehmen sieht damit die Menge des (Vor-, Zwischen- oder End-)Produktes nicht nur in seiner Lagerbuchhaltung, sondern anhand der Token auch in der Blockchain. In Prototypen mit Baumwollfasern für die Hirdaramani-Gruppe aus Sri Lanka und mit holzbasierten Fasern der österreichischen Lenzing AG wurde die Nachverfolgbarkeit und Transparenz erfolgreich getestet.

Der Token reist wie ein digitaler Zwilling („digital twin“) parallel zur Faser um die Welt und authentifiziert die Herkunft der Faser und garantiert deren Echtheit. Es können ihm auch weitere Informationen mitgegeben werden, wie etwa der CO2-Ausstoß oder der Wasserverbrauch, der beim jeweiligen Transport- und Produktionsschritt anfällt. Im Fall der Baumwolle auch der Wasser-, Dünger- und Pestizideinsatz vom Anbau bis zur Ernte.

Fälschungssicher dokumentiert

Auch Daten über die Arbeitsbedingungen und andere soziale Standards, unter denen das Produkt gefertigt wurde, kann der digitale Zwilling mitführen. Letztlich werden diese Informationen in QR-Codes oder Barcodes umgewandelt, die auf den Etiketten eines Kleidungsstückes von den Konsumenten im Geschäft oder online mittels Apps ausgelesen werden können. Die Reise des Kleidungsstückes, Informationen über den sozialen und ökologischen Fußabdruck sowie weitere Eigenschaften, die das Markenversprechen unterfüttern, können so vermittelt werden. Für die Konsumenten ist dies genau das, was sie suchen. Eine garantierte Information über die Nachhaltigkeit ihres Kleidungsstückes genau dort, wo sie ihre Kaufentscheidung treffen.

Ein wichtiger Treiber von Blockchain-Anwendungen in der Modebranche ist zudem, dass der Digital Twin in der Blockchain nicht gefälscht werden kann. Das spricht vor allem Luxusmarken an. LVMH mit seinen Marken Louis Vuitton, Dior, Fendi und Bulgari setzt daher schon seit Jahren auf die Aura-Blockchain, die gemeinsam mit Microsoft und ConsenSys entwickelt wurde. Auch Prada, Richemont, die OTP-Gruppe (Jil Sander, Diesel, Marni) und Mercedes sind Gründungsmitglieder. Die Aura-Plattform dient nicht nur zur Verifizierung der eingesetzten Materialien und zur Prävention von Fälschungen, sondern richtet sich vor allem an die Käufer. Durch Scannen des digitalen Fingerabdrucks des Produktes können sie deren Echtheit prüfen, ihren Besitznachweis eintragen (lassen), um zusätzliche Authentizität und Sicherheit zu erlangen.

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