Der ökonomische Blick

Wo bleiben die Frauen im Volkswirtschaftsstudium?

Der Campus der Wirtschaftsuniversität Wien. Der Frauenanteil am Department für Volkswirtschaft lag 2021 bei 53 Prozent aller studentischen MitarbeiterInnen und gerade mal bei 15 Prozent der UniversitätsprofessorInnen.
Der Campus der Wirtschaftsuniversität Wien. Der Frauenanteil am Department für Volkswirtschaft lag 2021 bei 53 Prozent aller studentischen MitarbeiterInnen und gerade mal bei 15 Prozent der UniversitätsprofessorInnen.Die Presse/Clemens Fabry
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Die Präsenz von Frauen im Volkswirtschaftsstudium ist geringer als in den MINT-Studiengängen. Die Gründe dafür sind vielfältig und machen deutlich, wie wichtig es ist, Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern auch in der universitären Ausbildung sicherzustellen.

Dass Frauen in der Regel weniger verdienen, den Großteil der unbezahlten Hausarbeit leisten, mehr Zeit mit Kinderbetreuung verbringen, unverhältnismäßig oft in Teilzeitjobs beschäftigt sind und auch eine geringere berufliche Mobilität aufweisen als Männer, sind unbestrittene Tatsachen. Die Unterrepräsentation von Frauen in hoch bezahlten Positionen etwa in den MINT-Gebieten (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, und Technik) ist laut zahlreichen Studien auf die genannten sozioökonomischen Gründe zurückzuführen (Cech & Blair-Loy 2019, Xu 2015). Einem anderen Fachbereich mit besonders niedrigem Frauenanteil wird jedoch kaum die gleiche Beachtung geschenkt wie den MINT-Fächern: der Volkswirtschaftslehre.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse"-Redaktion entsprechen.

In der kürzlich veröffentlichten Forschungsarbeit „Eine Analyse der Unterrepräsentation von Frauen im Volkswirtschaftsstudium“ (Gartner & Schneebaum 2023) untersuchen wir die Gründe, die Frauen davon abhalten, ein Bachelor-Volkswirtschaftsstudium zu beginnen bzw. eines abzuschließen. Jedes Bachelorstudium stellt den Grundstein einer akademischen Laufbahn dar, hat somit großen Einfluss auf die spätere Berufswahl und das damit verbundene Gehalt. Da BerufseinsteigerInnen nach einem Studium der Volkswirtschaftslehre durchschnittlich höhere Gehälter verzeichnen als die von „typischerweise“ gewählten „Frauenstudien“, liegt es nahe, die Ursachen für die Unterrepräsentation von Frauen im Volkswirtschaftsstudium zu untersuchen, um Chancengleichheit an den Universitäten und letztlich am Arbeitsmarkt sicherzustellen. 

Der derzeitige Forschungsstand weist auf folgende Ursachen hin, die die mangelnde Präsenz von Frauen im Volkswirtschaftsstudium erklären:

1. Ein Defizit an weiblichen Vorbildern und Mentorinnen in diesem Bereich,

2. Unzureichende Informationen über das Studium,

3. Ein auf eine männliche Hörerschaft ausgerichteter Unterricht und

4. Der fehlende Zusammenhang zwischen Studieninhalt und realem Wirtschaftsgeschehen, bzw. mangelhafte Berücksichtigung von aktuellen Themen, die Frauen in der Berufswelt direkt betreffen (Kinderbetreuung, Teilzeitarbeit, intersektionale Diskriminierung, etc.). 

Besonders in Bezug auf den vierten Punkt gibt es wachsende Bedenken hinsichtlich der begrenzten Anwendbarkeit und Relevanz neoklassischer Modelle. KritikerInnen der Neoklassik betonen, dass das Abstraktionsniveau theoretischer Modelle viel zu hoch sei, um Wirtschaftsereignisse realitätsnah zu veranschaulichen. Zudem beruht der Volkswirtschafts-Unterricht im Bachelor-Studium oft auf dem Ansatz, die Ökonomie mit mathematischen Modellen darzustellen, die von männlichen Vorurteilen geprägt sind. So wird beispielsweise das Konzept des homo oeconomicus für die begrenzte Erklärungskraft eines Akteurs, der Eigenschaften besitzt, die typischerweise biologischen Männern zugeschrieben werden, kritisiert: völlig unabhängig, rational, nutzenmaximiert. Den homo oeconomicus als Repräsentanten aller StudentInnen zu betrachten, führt somit zur Ignoranz und Abwertung all jener Menschen, die diese männlich-konnotierten Merkmale nicht aufweisen.

Kritik an einseitigem Blickwinkel

Die Volkswirtschaftslehre wird ebenso für ihren einseitigen Blickwinkel kritisiert, da sie hauptsächlich die Erkenntnisproduktion männlicher Ökonomen berücksichtigt und jene von Frauen außer Acht lässt. Nach der feministischen Philosophin Sandra Harding (1992) kann die Objektivität der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion erst dann gewährleistet werden, wenn sie die Perspektiven diverser Gruppen miteinbezieht. Dass es erhebliche Unterschiede in den Ansichten männlicher und weiblicher ÖkonomInnen zu Themen wie Mindestlohn, Krankenversicherung und geschlechtsspezifische Lohnschere gibt (May et al. 2014), unterstreicht die Bedeutung, Studierenden einen objektiven und ganzeinheitlichen Rahmen der Volkswirtschaftslehre zu vermitteln.  

Problematisch ist, dass die vorher genannten Gründe die Geschlechtervielfalt nicht nur auf der Ebene des Grundstudiums, sondern auch auf allen anderen akademischen Ebenen behindern. Der Begriff der „leaky pipeline„ ist in der Volkswirtschaftslehre durchaus bekannt und beschreibt das Phänomen eines sinkenden Frauenanteils mit steigendem akademischen Grad (Bostwick & Weinberg 2018, Shan 2020). Zur Veranschaulichung: Während an österreichischen Wirtschaftshochschulen 2020 etwa 48 Prozent der Einstiegsstellen (z.B. ForschungsassistentInnen) von Frauen besetzt waren, lag der Frauenanteil in höheren Positionen (z.B. Assistenz- bzw. assoziierte ProfessorInnen) bei nurmehr 29 Prozent (Auriol et al 2021).

Ähnlich ist es an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien: Laut WU Gleichstellungsbericht 2021 lag der Frauenanteil am Department für Volkswirtschaft bei 53 Prozent aller studentischen MitarbeiterInnen, bei 26 Prozent aller AssistenzprofessorInnen, bei 36 Prozent aller Assoziierten ProfessorInnen, und gerade mal bei 15 Prozent der UniversitätsprofessorInnen. Seit 2015 haben sich diese Anteile kaum bis gar nicht verändert.

Wie man entgegenwirken kann

Dem kann natürlich entgegengewirkt werden. So haben sich in Fakultäten, die die Bedeutung der Geschlechtervielfalt im Volkswirtschaftsstudium erkannt haben, folgende Maßnahmen als wirksam erwiesen:

1. Die Erhöhung der Anzahl weiblicher Lehrkräfte und die Einführung von Mentorinnenprogrammen,

2. die Information über mögliche Karrierewege, die nach einem Volkswirtschaftsstudium eingeschlagen werden können,

3. die Schaffung eines einladenden und inklusiven Unterrichtsumfelds und

4. die Einbeziehung pluralistischer Ansätze und Unterrichtsinhalte, die weniger realitätsfern und besser praktisch anwendbar sind.

Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist im Hinblick auf die Chancengleichheit von großer Bedeutung: Ist die Geschlechtervielfalt in Studiengängen niedrig, führt dies zu Fehlallokation von Ausbildungschancen, Arbeitsmarktbarrieren sowie beruflicher Segregation mit negativen Effekten für das Wirtschaftswachstum. Darüber hinaus darf auch die Unterrepräsentation anderer, diskriminierter Bevölkerungsgruppen nicht außer Acht gelassen werden: der LGBTQ+ Community, BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color) und Menschen mit internationaler Biografie und Geschichte.

Die Autorinnen

Hannah Gartner erhielt 2021 ihren BSc in Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und 2022 ihren MSc in Sozialpolitik an der University of Pennsylvania (UPenn). Derzeit wohnt Hannah Gartner in Washington, D.C, und arbeitet als Koordinatorin für strategische Initiativen im US-amerikanischen Sozialministerium Department of Health & Human Services (HHS).

Alyssa Schneebaum ist als Assistenzprofessorin für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) beschäftigt. Ihre primären Forschungsgebiete sind Feministische Ökonomie, insbesondere die Rolle von Geschlecht und Identität in ökonomischen Prozessen und in der Produktion von Wissenschaft. Dr. Schneebaum absolvierte 2013 ihren PhD in Volkswirtschaftslehre und Graduate Certificate in Advanced Feminist Theory an der University of Massachusetts-Amherst (UMass). 

Hannah Gartner
Hannah GartnerWifo
Alyssa Schneebaum
Alyssa SchneebaumWifo

Literaturhinweise

>> Auriol, E., G. Friebel, and S. Wilhelm. 2019. Women in European Economics.

Bostwick, V., and B. Weinberg. 2018. Nevertheless She Persisted? Gender Peer Effects in Doctoral STEM Programs (No. w25028; p. w25028). Cambridge: National Bureau of Economic Research. doi:10.3386/w25028

>> Cech, E. A., & Blair-Loy, M. (2019). The changing career trajectories of new parents in STEM. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 116(10), 4182–4187.

Gartner, H., and Schneebaum, A., (2023): An Analysis of Women’s Underrepresentation in Undergraduate Economics, Review of Political Economy, DOI: 10.1080/09538259.2023.2183672

Harding, S. (1992). Rethinking standpoint epistemology: What is“ strong objectivity?“. The centennial review, 36(3), 437-470.

May, A. M., McGarvey, M. G., & Whaples, R. (2014). Are disagreements among male and female economists marginal at best?: A survey of AEA members and their views on economics and economic policy. Contemporary Economic Policy, 32(1), 111-132.

>> Shan, X. 2020. Does Minority Status Drive Women Out Of Male-Dominated Fields? [Job Market Paper, University of Zurich].

>> Wirtschaftsuniversität Wien. 2021. Gleichstellungsbericht 2021.

>> Xu, Y. (2015). Focusing on women in STEM: A longitudinal examination of gender-based earning gap of college graduates. The Journal of Higher Education, 86(4), 489-523. DOI:

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