Junge Forschung

Sowjet-Politik mit Österreich

Die Zeithistorikerin Anna Graf-Steiner dokumentierte das Tauziehen Österreichs mit der Sowjetunion im Zuge der Helsinki-Konferenz
Die Zeithistorikerin Anna Graf-Steiner dokumentierte das Tauziehen Österreichs mit der Sowjetunion im Zuge der Helsinki-KonferenzHelmut Lunghammer
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Im Kalten Krieg einigten sich Ost und West auf eine Sicherheitsordnung. Anna Graf-Steiner spürte in Archiven zwischen Moskau und Washington der Rolle Österreichs dabei nach.

Im Jahr 1975 schafft ein geteiltes Europa Regeln für ein gemeinsames Zusammenleben. Die sogenannte Helsinki-Schlussakte ist der Höhepunkt der Entspannung zwischen Ost und West im Kalten Krieg. Dort akzeptieren die 35 unterzeichnenden Staaten die Unverletzlichkeit der Grenzen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Dokument wurde jahrelang vorbereitet. Anna Graf-Steiner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz, hat die Rolle des neutralen Österreich bei den Verhandlungen untersucht und sein Tauziehen mit der Sowjetunion dokumentiert, die Österreich für die eigenen Interessen instrumentalisieren wollte.

Für ihre Forschung hat Anna Graf-Steiner Archive in Moskau, Wien, Washington und Sofia besucht. Sie hat die Gesprächsprotokolle des sowjetischen Zentralkomitees auf Mikrofilmkopien der Universität Harvard ausgelesen – immer auf der Suche nach Hinweisen auf die Rolle Österreichs bei der Helsinki-Konferenz aus sowjetischer Sicht. Die Idee dieser Konferenz kam ursprünglich von der Sowjetunion, sie wollte die Nachkriegsgrenzen, und damit die Vormachtstellung Moskaus gegenüber Ostmitteleuropa, vor und von der Welt bestätigen lassen. Nach langem Zögern haben sich die USA, Kanada und die europäischen Staaten mit dem Warschauer Pakt an einen Tisch gesetzt.

Kreisky im Visier der Sowjetunion

„Nur sind dann auch andere Dinge verhandelt worden, die aus Sicht Moskaus eher unangenehm waren“, sagt Graf-Steiner. „Das waren die humanitären Bestimmungen. Gerade da war Österreich sehr aktiv.“ Der Westen und die neutralen Länder wollten dem Warschauer Pakt die Anerkennung von Menschenrechten und humanitären Erleichterungen wie Reise- und Informationsfreiheit abringen. Die österreichische Delegation hatte dabei Gegenwind von vielen Seiten, u. a. vom eigenen Bundeskanzler, Bruno Kreisky. „Kreisky war überzeugt, Liberalisierung könne man dem Osten nicht durch ein Konferenzpapier aufzwingen“, so Graf-Steiner. „Außerdem war er von der KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; Anm.) dreifach enttäuscht: Trotz seiner Bemühungen fand sie nicht in Wien statt, die Nahostfrage war nicht auf der Tagesordnung und vor Ort verhandelten Diplomaten über die Details und nicht die Staatschefs“, sagt Graf-Steiner. Diese Enttäuschung habe man in Moskau nutzen wollen.

»Kreisky war überzeugt, Liberalisierung könne man dem Osten nicht durch ein Konferenzpapier aufzwingen.«

Anna Graf-Steiner

Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz

„Man hat versucht, Kreisky dafür zu gewinnen, dass die Konferenz ein möglichst schnelles Ende findet, also nicht zu lang über humanitäre Themen verhandelt wird“, sagt Graf-Steiner. Bei seinem Moskau-Besuch im Juli 1974 verkündete er dann auch als einer der ersten westlichen Staatschefs, dass Österreich für einen schnellen Abschluss der Konferenz sei: „Das war aber eher eine Privatmeinung. Das Außenministerium und die Delegationen blieben hartnäckig“, so Graf-Steiner. Eine weitsichtige Entscheidung: Moskau unterschrieb am 1. August 1975 den Schlussakt, inklusive umfangreicher Bestimmungen zu Menschenrechten.

Derzeit gibt es wenig zu verhandeln

Ihre Erkenntnisse hat Graf-Steiner in ihrer Dissertation zusammengetragen, die noch heuer im Leykam-Verlag publiziert wird. Privat widmet sich die Steirerin der Musik, spielt Klarinette in der Marktmusik und singt im Singkreis ihrer neuen Heimatgemeinde Hausmannstätten bei Graz. Dort lebt sie seit einem Jahr mit ihrem Mann, Christian, und zwei Katzen. Ihre Forschungsreisen sind für sie ein Ausgleich zu diesem verankerten Leben in der Steiermark.

Nach Moskau würde sie derzeit aber nicht reisen. Das sei neben einem gewissen Risiko für sie auch eine moralische Frage. Ein neues Friedensabkommen wie beim Helsinki-Vertrag 1975 hält sie außerdem für ein schwieriges Unterfangen: „Die Voraussetzung für die KSZE war die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, allen weltanschaulichen Differenzen zum Trotz. Es gab aber eine gemeinsame Basis: Man erkannte das Völkerrecht an und wollte keinen Krieg in Europa. Heute hat sich Russland vom Geist von Helsinki verabschiedet.“

Zur Person

Anna Graf-Steiner (31) ist seit 2019 wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz. Ihre Dissertation hat sie im Rahmen eines FWF-Projekts zur sowjetischen Sicht auf die neutralen Staaten geschrieben und 2023 an der Uni Graz abgeschlossen. Geleitet wurde das Projekt von ihrem Doktorvater, Peter Ruggenthaler. Im Herbst erscheint die Publikation „Brückenbauer im Kalten Krieg. Österreich und der lange Weg zur KSZE-Schlussakte“ zu Graf-Steiners Forschungen bei Leykam.

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