Adam Smith (1723 - 1790), der schottische Ökonom und Philosoph
Zum 300. Geburtstag

Der brisante Adam Smith, den niemand sieht

Viel mehr als nur die „unsichtbare Hand“: Der schottische Ökonom ist ein unsichtbarer Gast in unseren heikelsten Ethik-Debatten. Es ist höchste Zeit, ihn auch bei uns als Philosophen wiederzuentdecken.

Jeder kennt sie: die „unsichtbare Hand“ des Marktes, die für den „Wohlstand der Nationen“ sorgt – auch wenn Adam Smith in seinem ökonomischen Hauptwerk nur einmal kurz mit ihr winkt. Jede Hand, sogar eine unsichtbare, hat einen kleinen Finger. Und um einen solchen dreht sich ein Gedankenexperiment des schottischen Philosophen, das hierzulande wenig geläufig, aber unter Angelsachsen fast ebenso berühmt ist – weil es durch seine Sprache erheitert und seinen Inhalt verstört. Versetzen wir uns ins Jahr 1759, als Smiths „Theorie der moralischen Gefühle“ erschien. Nehmen wir an, ein Erdbeben habe China „mit all seinen Myriaden von Einwohnern“ zur Gänze „verschlungen“. Wie würde einen damaligen Europäer dieses „fürchterliche Unglück“ berühren?

Er würde seiner Trauer „sehr lebhaften Ausdruck“ verleihen – und dann wieder „seinem Geschäft oder Vergnügen“ nachgehen und nachts „in tiefster Seelenruhe schnarchen“. Wüsste er hingegen, dass er am nächsten Tag seinen kleinen Finger verliert, würde ihm dieses „geringfügigste Missgeschick“ den Schlaf rauben. Wer könnte es ihm übel nehmen? Wir Menschen sind halt so!

Aber ist da wirklich nicht mehr? Würde derselbe Europäer, um seinen kleinen Finger zu retten, dafür „den Untergang hunderter Millionen seiner Brüder“ in Kauf nehmen? Oh Gott, natürlich nicht! Niemals hätte „die Welt in ihrer größten Verworfenheit“ einen „solchen Schurken hervorgebracht“! Was macht uns also „wenigstens manchmal“ doch fähig, eigene Interessen „den größeren Interessen anderer zu opfern“?

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