Der ökonomische Blick

Österreich wird keine Energie-Insel

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Was ist sinnvoller: Wasserstoff oder Strom? – und werden heimische erneuerbare Energien ausreichen?

Ein für manche verlockender Gedanke: Mit der ohnehin erforderlichen Umstellung auf ausschließlich erneuerbare Energie machen wir uns zugleich auch unabhängig von anderen Ländern, setzen allein auf heimische erneuerbare Ressourcen. Kann sich das ausgehen, wird alleine heimische Energie ausreichend sein? Sofern wir nicht einige physikalische Naturgesetze oder ökonomische Fakten aufheben können, ist die Antwort nein. Es stimmt zwar, dass wir relativ zu heute auf sehr viel mehr heimische (und zugleich erneuerbare) Energieversorgung umsteigen können – und hoffentlich werden, aber eine „(Energie)Insel der Seligen“ zu werden, geht sich physikalisch nicht aus oder wäre exorbitant teuer und materialintensiv.

Was ist der ökonomische Blick?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

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Ein Vergleich der erforderlichen Menge mit den im Inland verfügbaren Potenzialen zeigt uns das schnell. In den letzten Koalitionsverhandlungen trafen zur benötigten Menge noch zwei Welten aufeinander: „In der Klimaneutralität sollen wir 2040 nur mehr halb so viel Energie wie heute brauchen dürfen? Das würde die Wirtschaft umbringen!“ Nein, muss es nicht, ganz im Gegenteil. Dass gesteigerte Wertschöpfung mit weniger physischem Energieverbrauch einhergehen kann, haben uns praktisch alle anderen EU-Mitgliedsländer bereits gezeigt. Es stimmt aber, dass sich der Energiebedarf über die Nachfragearten ganz verschieden entwickeln wird. Die großen Einsparungspotenziale sind in den Bereichen Gebäude(-wärme), Verkehr und Vermeidung von Kraftwerksverlusten. [1] In Industrie und Produktion hingegen werden wir wohl auch 2040 ähnlich viel Energie benötigen.

Wir werden auch mit Erneuerbaren nicht energieautark

Nicht weil es dort keine Energieeffizienzpotenziale gibt, die sind sehr wohl vorhanden. Sondern weil der Umstieg auf netto-Null-emittierende Produktionsprozesse in einigen Fällen mehr Primärenergie pro Outputeinheit benötigt (was unter anderem an Umwandlungsverlusten in Wasserstoffherstellung und -transport liegt). [2] Für die Gesamtnachfragemenge im Land zeigen alle Studien für Österreich jedoch: Das Erreichen von Klimaneutralität wird in etwa eine – durchaus mögliche – Halbierung des Energieverbrauchs erfordern, von derzeit 1100 Petajoule auf rund 550. [1,3] Und es wird der Strom sein, der hier der zentrale Energieträger wird, und zwar im Raumwärmebereich durch die Wärmepumpe, im Verkehr durch Übergang zu E-Mobilität (auch im öffentlichen Verkehr), in der Industrie die direkte Elektrifizierung sowie der Einsatz von aus erneuerbarem Strom hergestelltem Wasserstoff. Wenn wir solcherart die Umstellung und Verringerung der Energienachfrage erreichen, werden wir insgesamt rund 450 Petajoule in Form von Strom benötigen. Ausgedrückt in der für Strom üblichen Einheit sind das 125 Terrawattstunden. Das maximal erneuerbare Potenzial zur Stromerzeugung im Inland - wenn wir Mindestkriterien zum Schutz der Biodiversität einhalten – sieht der Sachstandsbericht „Landnutzung“ des Austrian Panel on Climate Change aber nur bei bis zu 105 Terawattstunden, derzeit produzieren wir im Land bereits rund die Hälfte davon. Kurz: Wir werden auch mit Erneuerbaren nicht energieautark – wie auch in Ökosystemen kein Element autark von seiner Umwelt ist.

Die mittlerweile billigste Erzeugung von erneuerbarem Strom erfolgt durch Photovoltaik (PV). [4] Die Modulkosten sind in der letzten Dekade um den Faktor zehn gesunken, die der Speicher um den Faktor acht. PV unterschreitet nicht nur die Kosten von Windenergie, dem anderen wichtigen Baustein unserer Energiezukunft, sondern wird von der Bevölkerung auch eher akzeptiert. Während Windkraft Sichtbeeinträchtigungen, Lärm und eine Industrialisierung der Landschaft bedeuten kann, stehen für PV die Nutzung von Dächern, Lärmschutzbauten oder ästhetisch ansprechend von Fassaden zur Verfügung, und in der Landwirtschaft der Einsatz zum Schutz von Obst oder anderen Kulturen vor zu viel Sonne oder Hagel (sogenannte Agrivoltaik).

Schwankung in der Stromerzeugung bleibt große Herausforderung

Die wirklich große Herausforderung im Einsatz von PV ist die Schwankung in der Stromerzeugung. Die Produktion unter Tags kann durch mittlerweile hinreichend billig gewordene Speicher gut zur Nutzung in den Nachtstunden transferiert werden. Zum Ausgleich von anhaltenden Schlechtwetterphasen braucht es die Vernetzung von Erzeugungsorten über 1000 bis 2000 Kilometer. Am schwierigsten ist die saisonale Schwankung zu lösen. In der geografischen Breite Österreichs zum Beispiel erzeugt ein PV-Modul im Winter nur ein Fünftel seiner Sommerproduktion. Für ausreichend Produktion im Winter die PV-Fläche zu verfünffachen wäre nicht nur extrem teuer, wir hätten auch die zusätzlichen Materialien dafür global nicht verfügbar. [5]  

Die Lösung ist der Handel mit Energie, insbesondere mit südlichen Ländern. Als Energieträger wird Wasserstoff diskutiert. Die Verluste in der Elektrolyse und beim Transport betragen zumindest die Hälfte, und lassen die Wahl dieses Energieträgers nur dann sinnvoll erscheinen, wenn er auch in Österreich als Wasserstoff benötigt wird, nicht wenn er in Österreich unter weiteren Verlusten zu Strom rückverwandelt wird. Das Argument, dass die Erzeugung nur gratis Überschussstrom nutzt, hält ökonomisch nicht, da dann die teuren Elektrolyse-Anlagen nur wenige Stunden am Tag laufen würden.

Demgegenüber tut sich mittlerweile eine andere vielversprechende Möglichkeit auf: direkt den Strom in Leitungen zu importieren. Wenn wir das von der anderen Erdhalbkugel tun, so kann jeder den Überschuss im eigenen Sommer verkaufen, und saisonal gegengleich im jeweiligen Winter Strom importieren. Die aktuell längste Stromleitungsverbindung besteht zwischen Großbritannien und Norwegen und ist 720 Kilometer lang. Großbritannien arbeitet derzeit an einer Verbindung nach Marokko, diese wird 3800 Kilometer lang sein, das Kabelverlegschiff ist nahezu fertig, eine dafür neue Kabelproduktionsstätte in Schottland wird die globale Kabelproduktionskapazität verdoppeln und Kabel-Preise wohl deutlich senken. Auch Singapur soll mit Wind und PV-Anlagen in Australien über eine Leitung von 4500 Kilometern verbunden werden.

Es gilt noch Fragen zu lösen

Solche Leitungen und verteilte Erzeugungen haben das Potenzial, die Stromerzeugungskosten gegenüber einer Welt mit Erneuerbaren nur aus dem eigenen Land deutlich zu senken. Bereits bei heutigen Leitungskosten zeigt sich beispielsweise für eine Verbindung von Mexiko nach Süd-Peru, dass sich die gesamten Investitionskosten der Leitung bereits nach einem einzigen Jahr Betrieb durch die billigeren Stromkosten in beiden Ländern amortisieren. [4]

Es gilt noch Fragen zu lösen, vor allem nach der politischen Akzeptanz oder der Gewährleistung der Versorgungssicherheit (z.B. Puffer zusätzlicher Leitungen). Die Richtung, in die eine solche Entwicklung weist, ist aber sonnenklar: Globale Zusammenarbeit und Vernetzung zum wechselseitigen Vorteil.

Referenzen:

[1] APCC (2023) APCC Special Report Strukturen für ein klimafreundliches Leben (Austrian Panel on Climate Change (APCC) SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K.W. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg. Online November 2022, Druckversion erscheint im Juli 2023.

[2] Steininger, K.W., Mayer, J., Bachner, G., Duelli, S., Frei, E., Grossmann, W., Maier, R., Nabernegg, S., Williges, K., Streicher, W., Ochs, F., Magni, M., Tosatto, A., Venturi, E., Passer, A., Kreiner, H., Scherz, M., Truger, B., Vogel, J., Offenthaler, I., The Economic Effects of Achieving the 2030 EU Climate Targets in the Context of the Corona Crisis: An Austrian Perspective, Wegener Center Scientific Report 91-2021, Wegener Center Verlag Graz, ISBN 978-3-9504717-8-6  

[3] Haas, R.,Molitor, R., Ajanovic, A., Brezina, T., Hartner, M., Hirschler, P., Kalt, G., Kettner, C., Kranzl, L., Kreuzinger, N., Macoun, T., Paula, T., Resch, G., Steininger, K., Türk A. und Zech, S., Energie und Verkehr. In: Österreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014 (AAR14). Austrian Panel on Climate Change (APCC), Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, Österreich, S. 857–932, 2014 

[4] López Prol, J., Steininger, K.W., Williges, K., Grossmann, W.D., Grossmann, I. (2023), Potential gains of long-distance trade in electricity, Energy Economics, 106739. https://doi.org/10.1016/j.eneco.2023.106739  

[5] Grossmann, W., Grossmann, I., Steininger, K.W. (2015), Solar electricity supply isolines of generation capacity and storage, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 112(12): 3663-3668; https://doi.org/10.1073/pnas.1316781112 

Der Autor

Karl W. Steininger ist Professor für Klimaökonomik, mit den Forschungsschwerpunkten Klimafolgen und Nachhaltige Transition, und Leiter des Wegener Center für Klima und globalen Wandel der Universität Graz. Er war u.a. für Weltbank und OECD tätig, berät Industrie, Gesellschaft und Regierungen und leitet Gremien wie die Monitoring-Gruppe Klimaübereinkommen und Verkehr.

Karl W. Steininger
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